Dieter Forte

Auf der anderen Seite der Welt

Roman
Cover: Auf der anderen Seite der Welt
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004
ISBN 9783100221162
Gebunden, 352 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Deutschland, in den fünfziger Jahren: Ein junger Mann reist mit Zug und Schiff in ein Sanatorium auf einer entlegenen Nordseeinsel. Er ist lungenkrank, jeder Tag kann der letzte sein. Während das Land sich blind für die Vergangenheit dem Wiederaufbau und Wirtschaftswunder hingibt, scheint in der zauberbergartigen Isolation der Heilanstalt die Zeit abgeschafft. Umgeben von den steten Naturgewalten geht es für die Bewohner des Sanatoriums "auf der anderen Seite der Welt" nur um Leben und Tod - und um ein erinnerndes Erzählen, das nicht enden darf.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 28.04.2005

Mit seinem neuen Buch hat sich Dieter Forte endgültig in die "Reihe der großen Schriftsteller deutscher Sprache" geschrieben, findet Rezensent Rolf Michaelis. Die "scheinbare" Autobiografie schildert die Jugendjahre des Autors, der in der Nachkriegszeit schwerkrank in ein Lungensanatorium an der Nordsee verschickt wird. Forte greife mit dieser Geschichte das alte Bild der "Lebensreise" wieder auf, deren Ende ungewiss ist. Beeindruckt hat den Kritiker vor allem die Art Fortes, dem "Vorwärtsdrang" des Erzählens stets den "Stillstand" gegenüberzustellen; so bestimme das Gesetz von Auf- und Abbruch das gesamte Buch und mache dessen "Größe" aus. Darüber hinaus erfahre der Leser aber nicht nur die Geschichte eines kranken Kindes und dessen allmähliches Begreifen des Todes; Forte gibt, so lobt der Rezensent, auch einen "drastischen" Einblick in das Leben im Nachkriegsdeutschland, er erwähnt Joseph Beuys, Günter Grass und "Papa Heuss". Der Rezensent sieht hier ein Buch vorliegen, das nicht nur die Konfrontation mit dem Lebensende thematisiert, sondern auch jede Menge "kritischer Sprengkapseln" in sich trägt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 13.01.2005

Vor Dieter Fortes Sprachkunst hat Rezensent Wolfgang Schneider größten Respekt. Schließlich ist es des Autors "hochmusikalische Diktion", die "ohne Zweifel" zu den "Höhepunkten deutscher Gegenwartsprosa" gehört. Der Aufbau des neuen Forte-Romans, der an die autobiografische Romantriologie "Das Haus auf meinen Schultern" anknüpft und die Geschichte des lungenkranken Protagonisten weiterspinnt, hat den Kritiker dagegen nicht völlig zufriedengestellt. Versetzte ihn der erste Teil noch in Euphorie - man habe den Eindruck, das "beste" deutsche Buch "seit langem" zu lesen - ist der Fortgang der Geschichte geprägt von einer gewissen "Unfrische", am Ende "zerfällt das Buch" sogar. So fühlt sich der Rezensent angenehm an Thomas Mann und Thomas Bernhard erinnert, wenn der Autor mit "lyrischer Feinnervigkeit" Szenen aus dem Lungensanatorium beschreibt. Doch überschreitet er die Grenze von der zerbombten Nachkriegszeit hin zum Wirtschaftswunder, haftet seinem "Lamento" über Persildamen und Papa Heuss etwas "Klischeehaftes" an, findet der Rezensent. Zu Ende gelesen hat der das Buch trotzdem, wenn auch nicht "ohne Anstrengung" und Bedauern darüber, dass ein "groß begonnenes" Werk nicht auch groß weitererzählt wurde.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.12.2004

Dieter Fortes neuer Roman scheint ein literarisches Überraschungsei zu sein, bietet er doch Zeit-, Geschichts- und Gesellschaftsroman in einem und befriedigt somit gleich drei Rezensentenwünsche auf einmal! Walter Jung hat sich an dieser in eine "nihilistische Metaphysik" eingelagerten Spezialität gütlich getan und schwärmt von dem so "beeindruckenden wie bedrückenden Buch". Darin erinnert sich ein Ich-Erzähler an die 50er-Jahre, in denen er, lungenkrank, zur Kur an die See geschickt wurde und die Zeit als "Ausgesetztheit", als "Verlust von Welt, Geschichte und Wirklichkeit" erfahren hat. In "kleinen und kleinsten Geschichten" wird dabei die "Topographie der alten Bundesrepublik" entfaltet, erklärt der Kritiker, ein "buntes Kaleidoskop, ein Panoptikum" entsteht. Dies entspricht der poetischen Konzeption der Texte Dieter Fortes, der meint, dass Geschichte nur in Geschichten erzählt werden kann, so Walter Jung. "Abgrundtief pessimistisch und zugleich doch wieder vom Bloch'schenen (sic!) Perspektivenlicht der Hoffnung durchzogen" -  diese Rezeptur hat dem Kritiker gut geschmeckt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 15.11.2004

Nur oberflächlich betrachtet ist Dieter Fortes neues Buch ein Roman über die 50er Jahre, weiß Meike Fessmann, die tief gedrungen ist und dabei festgestellt hat, dass hier eigentlich von der Angst erzählt wird, "für immer von der Welt der Lebenden abgetrennt zu werden". Nach angstvollen Nächten im Bombenschutzkeller während des zweiten Weltkrieges, nach einer Trümmerkindheit im Nachkriegsdeutschland droht eine nicht ausgeheilte Tuberkulose den jungen Helden des Buchs zu zerstören. Ein Aufenthalt in einem Sanatorium (nein, nicht in Davos, auf einer Nordseeinsel) soll Rettung bringen und bringt eine neue Angst mit sich, nämlich die Furcht, "selbst zur Insel zu werden". Eindrücklich sei der Roman dort, wo er für diese Angst des jungen Mannes "Bilder unerträglicher Enge" findet, meint die etwas zwiespältige Rezensentin. Problematisch findet sie dagegen, dass die zeithistorischen Passagen zu klischeehaft geraten sind. Außerdem warnt sie vor der drohenden "Musealisierung" der im Buch aufgegriffenen Luftkriegsdebatte. Dabei ist es doch durchaus notwendig, diese Debatte "zu öffnen und auch theoretisch zu diskutieren", findet Meike Fessmann. Inwiefern Dieter Fortes Buch hierzu einen Beitrag zu leisten vermag, lässt die Kritikerin jedoch weitgehend offen.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 06.10.2004

Der Rezensent Alexander Leopold ist richtig beeindruckt von Dieter Fortes Roman, dessen Setting ihn sowohl an Thomas Manns "Zauberberg" als auch an Thomas Bernhards "Der Atem" erinnert und der in nicht weniger mündet als in die Frage nach dem "Sinn des Lebens". Während die erste Hälfte des Romans mehr oder weniger aus einem Guss ist, weil sie von der Zugfahrt des Protagonisten an seinen Zielort - ein Sanatorium für Lungenkranke - erzählt, zerfällt die zweite Hälfte des Romans in einzelne Fragmente. So entsteht ein "Panorama der Fünfzigerjahre", in denen die "Gedankenlosigkeit" der Zeit und das "Wechselspiel von Erinnern und Vergessen" thematisiert wird - nicht ohne "Pathos", aber dafür mit großer Sogwirkung. Leopold wünscht sich, dass der Roman - der aus der aktuellen Literatur seiner Meinung nach "weit herausragt" und die Qualität der "Zeitlosigkeit" besitzt - das Ansehen und Ruhm seines Autors Dieter Forte mehrt.