Christa Wolf

Moskauer Tagebücher

Wer wir sind und wer wir waren
Cover: Moskauer Tagebücher
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014
ISBN 9783518424230
Gebunden, 266 Seiten, 22,95 EUR

Klappentext

Herausgegeben von Gerhard Wolf. "Moskau! Ich hatte mich vorher gefragt, was wohl in Moskau mich als erstes beeindrucken würde." So beginnen Christa Wolfs Aufzeichnungen über eine Stadt, die sie 1957 zum ersten Mal besucht. Im Oktober 1989, mitten in den Wochen des Umbruchs, tritt sie ihre letzte Reise in die Sowjetunion an. Insgesamt zehnmal ist sie dort, von den Sicherheitsdiensten der UdSSR wie der DDR beobachtet. Sie folgt als Touristin zusammen mit Dostojewskis Enkel den Spuren des großen Russen in Sankt Petersburg. Fährt mit Max Frisch auf der Wolga nach Gorki. Trifft in Gagra am Schwarzen Meer eine schlagfertige Moskauer Rechtsanwältin. Besucht Vilnius und Riga und steht in Komarowo am Grab Anna Achmatowas. Vor allem aber ist sie eine scharfe Beobachterin der sozialen und politischen Verhältnisse, die die Freundschaft verfolgter Dissidenten wie Lew Kopelew gewinnt.
In den Tagebuchnotizen entsteht ein facettenreiches Bild des Riesenreichs im Wandel, bis hin zu den Tagen des dramatischen Endes, und gleichzeitig erleben wir Christa Wolf im persönlichen Dialog mit sich selbst und den russischen Freunden. Ergänzt werden ihre Aufzeichnungen durch Begleittexte ihres Mannes Gerhard Wolf sowie durch Briefe, zeitgenössische Fotos und Dokumente.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.12.2014

Rezensent Jörg Magenau hat keinen Zweifel, dass Christa Wolf auf ihren hier dokumentierten zehn Reisen nach Moskau zwischen 1957 und 1989 viel mehr sah und begriff als in den Tagebüchern Niederschlag fand. Die Aufzeichnungen selbst erscheinen ihm blass und rudimentär, auch da er in ihnen eine Kritik abfedernde Zukunftsorientierung erkennt. Diese Teebeutelhaftigkeit der Aufzeichnungen wird laut Magenau glücklicherweise bereichert und erweitert durch die Beigaben des Herausgebers Gerhard Wolf, Briefwechsel mit sowjetischen Kollegen, Aufzeichnungen von Max Frisch, Essays und Briefe von Lew Kopelew und eigene Beisteuerungen zu den Reisen. Wolfs "dürre Wahrnehmungspartikel" werden für Magenau so erst bedeutsam.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 29.11.2014

Rezensent Tobias Schwartz ist dankbar, dass Christa Wolfs Ehemann Gerhard ihre "Moskauer Tagebücher" nun aus dem Nachlass herausgegeben, sie sorgfältig kommentiert und um Notizen, Fotos und Briefe, etwa an Max Frisch, Lew Kopelew oder Brigitte Reimann, erweitert hat. Der Kritiker erfährt nicht nur, welchen außerordentlichen Status Moskau für Wolf einnahm, die im Alter von 28 Jahren erstmals dorthin reiste, Freundschaften schloss und sich auf Exkursionen begab, sondern liest auch, wie der zu Beginn unschuldig-staunende Blick auf die "verheißungsvolle" Stadt immer mehr der Desillusionierung weichen muss. Lobend erwähnt Schwartz außerdem, dass die Passagen, die in ihren Romanen Moskau betreffen, großzügig in diesem Band abgedruckt sind und somit kenntlich machen, wie sehr die Stadt auch ihr literarisches Werk beeinflusste.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 24.11.2014

Arno Widmann liest Christa Wolf. Wolfs Reisetagebücher, zusammengestellt und kommentiert von ihrem Witwer Gerhard Wolf, zeigen dem Rezensenten die Entwicklung zur Schriftstellerin und den sich verändernden Blick auf die DDR im Vergleich mit der Sowjetunion. Die im Band enthaltenen Beiträge von Max Frisch oder Lew Kopelew schätzt Widmann als unmittelbare Ergänzung der Reiseaufzeichnung und Möglichkeit, Wolfs Perspektive zu vergleichen. Wolfs Erinnerung an den Oktober 1989 in Moskau und Berlin scheinen Widmann besonders interessant, da sie die Verunsicherung und die Verheißung von damals vor Augen führt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.11.2014

Christa Wolfs "Moskauer Tagebücher" dokumentieren die langsame Ernüchterung der Autorin angesichts der "Szenen der Mitleidlosigkeit im öffentlichen Raum" der DDR, doch auch ihre andauernde ambivalente Hoffnung auf eine Besserung innerhalb des Systems, berichtet Regina Mönch. Diese Widersprüche gesteht Wolf sich aber ein und zu, erklärt die Rezensentin, die Schriftstellerin schreibt von den "multiplen Wesen in uns" und fragt sich, "wie viele Moralen" sie in ihrem Leben schon hatte und warum es ihr so schwer fällt, sich von den Resten der alten zu trennen. Einen spannenden Epilog liefert die Korrespondenz mit den engsten russischen Freunden, verrät Mönch: Efim Etkind und Lew Kopelew.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 20.11.2014

Jens Jessen stößt in einer vergleichenden Lektüre der "Moskauer Tagebücher" Christa Wolfs und der Tagebücher Erwin Strittmatters aus den Jahren 1974 bis 1994 auf zwei sehr unterschiedliche "Schreibhaltungen in der Diktatur", so ungemütlich sie der Partei auch gewesen sein mögen. Der Rezensent hadert mit Christa Wolfs Festhalten an einem sozialistischen Ideal, aus dem sich ihre Reibungen am realen Zustand der DDR ergaben. Zu keinem Zeitpunkt habe Wolf jedoch das illusionäre Wesen des Kommunismus erkannt, so Jessen. In ihrem Idealismus und ihrem Streben nach moralischer Integrität gewinne die Schriftstellerin immerhin den Charaktervergleich mit ihrem Kollegen, befindet der Rezensent, auch wenn Wolf sich in ihrer Moralität vielleicht ein wenig zu sehr gefiel, findet Jessen.