Bogdan Musial

Konterrevolutionäre Elemente sind zu erschießen

Die Brutalisierung des deutsch-sowjetischen Krieges im Sommer 1941
Cover: Konterrevolutionäre Elemente sind zu erschießen
Propyläen Verlag, Berlin 2000
ISBN 9783549071267
Gebunden, 240 Seiten, 20,40 EUR

Klappentext

Der 22. Juni 1941 ist ein zentrales Datum in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs. An diesem Tag begann der Feldzug der deutschen Wehrmacht gegen die Sowjetunion, der an Brutalität alles Bekannte übertraf. zeitgleich setzte in den eroberten Gebieten die systematische Ausrottung von Juden ein. Die bisherige Forschung konzentrierte sich auf die deutsche Seite dieser Verbrechen. Weitgehend unberücksichtig blieb die Tatsache, dass die Sowjets auf ihrem Rückzug zahlreiche Massenverbrechen begingen ? an politischen Gefangenen wie auch an der polnisch-ukrainischen Zivilbevölkerung. Bogdan Musial hat die bisher unzugänglichen osteuropäischen quellen erstmals systematisch erschlossen. Minutiös rekonstruiert er die Ereignisse jener Wochen und weist nach, dass zwischen den vom sowjetischen Geheimdienst NKWD verübten Massenmorden und der Brutalisierung des Krieges im Osten eine fatale Wechselwirkung bestand. Nicht selten waren Wehrmachtsverbrechen eine direkte Antwort auf die NKWD-Gräuel. Auch die immer noch umstrittenen Anfänge des Holocaust erscheinen in neuem Licht.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 31.01.2001

Thomas Sandkühler hat sich aufs genauste mit dieser Studie über die sowjetische Besatzungspolitik auseinandergesetzt und hat einiges zu bemängeln. Zunächst wäre da der Eifer, die von der geschichtspolitischen Auseinandersetzung mit der sogenannten Wehrmachtsausstellung herrührende emotionale Involviertheit des Autors. Naturgemäß schadet so etwas Arbeiten wie der vorliegenden ja eher. Dann aber sind es vor allem inhaltliche Aspekte, mit denen der Rezensent nicht warm wird. Die Zurückführung des deutschen Vernichtungskriegs auf sowjetische Verbrechen als Ursachenfaktor, wobei den Juden hier eine Teilverantwortung zugeschrieben wird, hat ihn merklich irritiert: Auf diese Weise sitze der Autor der Perspektive der Täter auf, deren Handeln er erklären wolle. Solche Argumentation, bedauert Sandkühler, stehe im Widerspruch zum Verdienst der Erschließung einer Vielzahl von Quellen und einer nichtsdestotrotz mitunter mustergültigen Herausarbeitung der historischen Umstände, der der Arbeit auch zukomme.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 31.08.2000

Mit sehr gemischten Gefühlen hat Wolfram Wette das Buch des polnischen Historikers gelesen, durch den die Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialgeschichte dazumal ins Kreuzfeuer der Kritik geraten war. Nachdem er durch seine Entdeckung falsch zugeordneter Fotos prominent geworden war, wurde seine Dissertation über "Deutsche Zivilverwaltung und Judenverfolgung im Generalgouvernement" hierzulande aufmerksam und in der Regel positiv aufgenommen. Deren "Solidität" jedoch, so Wette, ist in dem neuen Buch nicht erreicht worden. Vielmehr sind besonders die Schlussfolgerungen "leichtfertig und provozierend geschrieben". Thematisch geht es um die Zusammenschau der Vorgänge während der sowjetischen Besatzung in Ostpolen, den Deportationen Hunderttausender von Weißrussen, Ukrainern, Polen und Juden, das dadurch brutal gestörte empfindliche soziale Gefüge und die sich teilweise daraus ergebenden Racheakte nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht. Obgleich Musial sich durchaus auf die erst seit kurzem verfügbaren Dokumenten sowjetischer Verbrechen stützt, schlägt sein "spezifisch polnischer Antisowjetismus", so Witte, immer wieder durch. Die heikle Verbindung von Juden und Sowjets, die beispielsweise sowohl nationalistischen Ukrainern als auch der SS nach dem Rückzug der Sowjets zum Anlass hasserfüllten Mordens wurde, wird bei Musial nicht wirklich sauber herausgearbeitet, findet Wette. Vielmehr lässt er sich, trotz anderslautender Erklärungen, immer wieder ein auf Schuldzuschreibungen an die Opfer selbst. Damit gerät er in die Nähe der Thesen der (von Wette nicht ausdrücklich genannten) deutschen Historiker wie Nolte et. al., die einer Reaktion der Wehrmacht auf die Verbrechen der Kommunisten das Wort redeten (und vor Jahren damit den "Historikerstreit" entfachten). Das Fazit des Rezensenten: der Autor hat mit dieser Untersuchung riskiert, "jenen gefährlichen Geschichtsdeutern in die Hände" zu spielen, "die den zweiten Weltkrieg und den Holocaust als Reaktion auf bolschewistische Verbrechen sehen wollen".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.08.2000

Als ein wichtiges, aber "problematisches" Buch begrüßt Johannes Hürter diese Studie zu den sowjetischen Verbrechen im Sommer nach dem deutschen Bruch des Hitler-Stalin-Pakts. Äußerst verdienstvoll findet der Rezensent in seinem vorsichtig akademisch gehaltenen Artikel zunächst, dass Musial dieses vernachlässigte Kapitel der Geschichte des Zweiten Weltkriegs überhaupt aufschlägt. Als großer Vorteil erweise sich dabei für den deutschen Leser Musials Beherrschung der osteuropäischen Sprachen, die es ihm ermöglichten, die Forschungsleistungen dieser Region zu berücksichtigen und vorzustellen. Aber dann kommen auch gewichtige Einwände: Musials wiederholt vorgebrachte, dann aber offensichtlich auch wieder relativierte Hauptthese, dass die Nazis erst durch das sowjetische Beispiel zu ihren Gewalttaten gebracht worden seien, findet Hürter unhaltbar. Allein der deutsche Überfall sei von ungeheurer und voraussetzungsloser Brutalität gewesen. Auch der Erklärung antijüdischer Pogrome in der Bevölkerung mit dem hohen Anteil von Juden in der sowjetischen Besatzungsmacht mag Hürter nicht zustimmen: "Dass sich der antisowjetische Hass dann vor allem gegen die jüdische Bevölkerung entlud, erhält scheinbar eine gewisse Legitimation." Hürter schließt, dass Musials Buch allenfalls einen "Anfang" bei der Erforschung dieses speziellen Kapitels deutscher Geschichte darstelle.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 11.08.2000

Der Historiker Peter Longerich macht äußerst gewichtige Einwände gegen Bogdan Musials Buch "Konterrevolutionäre Elemente sind zu erschießen". Musial wurde in Deutschland durch seine Kritik an Jan-Philipp Reemtsmas Wehrmachtsausstellung bekannt. Er wies nach, dass zahlreiche Fotos dieser Ausstellung keine Nazi-, sondern sowjetische Massaker dokumentierten. Den Ruf, den sich Musial durch diese Arbeit erwarb, scheint er durch sein neues Buch nun zu verspielen. Nach Longerich erklärt er die Nazi-Massaker in Polen nun als Reaktion auf sowjetische Massaker, "ein weiterer untauglicher Versuch, den sowjetischen Terror zu einer wesentlichen Voraussetzung des NS-Terrors zu erklären", schreibt Longerich. Auch Musials Darstellung der polnischen Massaker an Juden, als die geschlagenen Deutschen abzogen, findet Longerich höchst bedenklich: Musial erkläre die Pogrome mit Hinweis auf die angeblich zahlreichen Juden in den Truppen und Geheimdiensten der Sowjets. Aber erstens, so Longerich, kann Musial diesen überproportionalen Anteil gar nicht nachweisen, und zweitens sucht "Musial die Ursachen für die Verfolgung also bei den Opfern, und nicht bei den Tätern, und diese Sichtweise - eine bekannte methodische Falle bei dem Versuch, Antisemitismus zu erklären - führt ihn dazu, die Vorurteile der historischen Akteure zu reproduzieren..." Schärfer ausgedrückt wirft Longerich Musial also selbst antisemitische Argumentationsmuster vor.