Angelika Klüssendorf

Das Mädchen

Roman
Cover: Das Mädchen
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2011
ISBN 9783462042849
Gebunden, 182 Seiten, 18,99 EUR

Klappentext

Angelika Klüssendorf erzählt von einem jungen starken Mädchen, das sich herausarbeitet aus allem, was sie umgibt und niederhält: die tyrannische Mutter, die autoritären Lehrer, der bürokratische Staatsapparat. Am Anfang scheint alles schon zu Ende zu sein: Der Vater trinkt und taucht nur sporadisch auf, die Mutter lässt ihre Wut an den Kindern aus, die Klassenkameraden meiden das Mädchen, der jüngere Bruder kapselt sich völlig ab. Und doch gibt es eine Kraft, die das Mädchen trägt. Die Bilder aus "Brehm's Tierleben", die sie bewundert, der Traum vom kleinen Haus mit Garten auf dem Lande, Grimms Märchen. Und immer wieder Menschen, die ihr etwas bedeuten und die sie halten. Eines hat sie gelernt: Man muss sich holen, was man braucht.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.10.2011

Angelika Klüssendorfs Roman über eine Jugend in der DDR der 70er Jahre unter einer sadistischen Mutter und einem trinkenden, zumeist abwesenden Vater hat Rainer Moritz nachhaltig beeindruckt. Ohne Larmoyanz und in klarem, sparsamem Duktus schildert die Autorin ihre über fünf Jahre reichende Adoleszenzgeschichte eines zu Beginn des Romans 12 Jahre alten Mädchens, das sich gegen die Zumutungen ihrer Existenz mit Brutalität gegen andere wehrt und Zuflucht in der französischen Literatur des 19. Jahrhunderts findet. Die Wirkung des Romans auf Moritz ist zwar "verstörend", nichtsdestotrotz sieht er sich aber in den Bann dieser beeindruckenden Geschichte gezogen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 24.09.2011

Der Kraft von Angelika Klüssendorfs neuem Roman über eine Kindheit in der DDR konnte sich Rezensent Jörg Magenau einfach nicht entziehen. Zu verstörend ist das, was das titelgebende "Mädchen", welches in einem Umfeld aus Gewalt, Armut, Alkoholismus und "emotionaler Verkümmerung" aufwächst - das sich, so der Rezensent, auch in die bundesdeutsche Gegenwart übertragen ließe - erleben muss. Die von der Mutter erfahrene sadistische Grausamkeit, etwa die Gürtelschläge, die sie bekommt, wenn sie bei dem "Spiel" mit ausgestreckten Armen Kissen zu halten Schwächen zeigt, wird, resultierend aus dem Rückzug in die Gefühllosigkeit, an den jüngeren Bruder oder andere Schwächere weitergereicht, wie Magenau berichtet. Dabei entspreche dem Ausbleiben jeglicher Zuneigung und der Ausweglosigkeit dieses Romans Klüssendorfs sachlich aufzeichnende Sprache, die alle Empathie verweigere. Konsequent hoffnungslos erscheint dem Kritiker auch das Ende der Erzählung, dennoch wünscht er sich, mit vorsichtigem Glauben an einen Ausweg, eine Fortsetzung.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 22.09.2011

"Einer der radikalsten und bewegendsten Adoleszenzromane deutscher Sprache" ist Angelika Klüssendorf mit diesem Buch geglückt, davon ist Alexander Cammann überzeugt und lobt enthusiastisch diesen Roman über eine Jugend in der DDR, der radikal aufräumt mit ostalgischer Kindheitsidylle und dem Mythos von der "sozialen Geborgenheit" im Arbeiter- und Bauernstaat. Dabei kommt die Autorin ganz ohne biografische Bezüge aus, wie Cammann anmerkt, denn ihre Geschichte werde "allein durch Sprache und kluge Konstruktion" getragen und glänze durch einen abwechslungsreichen "intelligenten Realismus". Aber nicht nur ungeschönte Gesellschaftskritik findet Cammann in diesem Roman, sondern auch die Geschichte einer schwierigen Entwicklung, bei dem die Literatur dem misshandelten Mädchen ein Mittel zur Selbsthilfe wird. Ein hartes Buch, das Cammann weit entfernt scheint, von allen "bundesdeutschen Provinzdramolettchen" über das Erwachsenwerden.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 21.09.2011

Cornelia Geißler ist bestürzt. Nicht von der Welt in Angelika Klüssendorfs Roman und den "unwürdigen Verhältnissen", unter denen das Mädchen darin zu leiden hat, sondern von deren Realitätsgehalt. Solch ein Aufwachsen ohne Liebe, gebe es wirklich, weiß Geißler und zeigt sich dann doch ein wenig erleichtert, dass schließlich die Literatur "zum Rettungsanker für die Seele" des Mädchens wird. Bindungen hat dieses Mädchen auch nötig, das zusammen mit ihrem Bruder von der Mutter gequält und eingesperrt wird. Mit dem "Bonding", der frühkindlichen Bindung liegt hier einiges im Argen, attestiert die Rezensentin. Klüssendorfs Roman ist eine grausige Vernachlässigungsgeschichte aus der Welt des Prekariats, findet Cornelia Geißler und hält diese für so hochreal und universell, dass dieser Roman eine nähere erzählerische Verortung nicht benötigt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.08.2011

Dies ist, findet der Rezensent Friedmar Apel, ein zwar großartiger, aber angemessen unerfreulicher Roman über eine sehr unangenehme Kindheit. Stattgefunden hat sie in der DDR, und da wiederum in einer Unterschicht, die es der Staatsideologie zufolge gar nicht hätte geben dürfen. Aus einer komplett dysfunktionalen Familie - Vater schlägt Mutter schlägt Tochter schlägt Bruder - entkommt die Hauptfigur in ein Kinderheim und muss das geradezu als Glück betrachten. Von dort aus kommentiert werden die Werte sozialistischer Moral und angesichts des Heimleitungspersonals kommt es zu offenbar gut nachvollziehbaren "Zerstückelungsphantasien". Der Rezensent hält fest, dass dies in der dritten Person erzählt wird, macht aber zugleich recht klar, dass er das Ganze für recht autobiografisch hält. Bewundernswert findet er es, wie nüchtern und nie "tränenselig" Angelika Klüssendorf diese "schrecklich traurige Geschichte" erzählt.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 18.08.2011

Einen "gleißenden Gesellschaftsroman" hat Rezensent Helmut Böttiger hier gelesen. Es geht darin um ein namenloses Mädchen, das in einem von Verwahrlosung und Brutalität geprägten Umfeld aufwächst und unaufhaltsam dem sozialen Abstieg entgegensteuert, wie er berichtet. In der DDR spiele die Geschichte, und dennoch hält der Rezensent sie für hochaktuell. Die Gefühlskälte und die Egozentrik der Mutter, die Einsamkeit und Verzweiflung der Tochter, kurz: Alles, was den Roman so erschütternd lesenswert mache, hat nach Meinung Böttigers kaum etwas mit dem historischen Setting zu tun, sondern zunächst und vor allem mit der Sprache Angelika Klüssendorfs. "Radikale Beschränkung" sei deren hervorstechendstes Merkmal, denn auf Kommentare, Urteile und Erklärungen werde konsequent verzichtet. So entstehe ein "Knochengerüst", welches das Hineinwachsen eines jungen Menschen in eine Außenseiterrolle gänzlich unromantisch, dafür aber umso eindringlicher rekonstruiere, resümiert der ergriffene Kritiker.
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