Andreas Maier

Die Straße

Roman
Cover: Die Straße
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013
ISBN 9783518423950
Gebunden, 193 Seiten, 17,95 EUR

Klappentext

Am Anfang sind es bloß Doktorspiele, aber sie sind schon von einer Dringlichkeit, die eines Erwachsenen würdig wäre. Später kommt die Bravo und gibt erstmals eine Sprache dazu. Eine jugendliche Welt aus zeitschriftengeborenenen Worten wie Petting, Glied und Scheide. Der Erzähler, drei Jahre jünger als seine Schwester und ihre Freundinnen, steht staunend vor ihnen und erfährt seine erste Aufklärung ausgerechnet mit "Alice im Wunderland". Die Schwester, inzwischen adoleszent, rennt mit ihren Freundinnen um die amerikanische Kaserne in Friedberg in der Wetterau in der verzweifelten Hoffnung, die GIs mögen sie endlich erwählen. Und die verliebten Jugendlichen bevölkern nach Schulschluss die Kaiserstraße wie ein Auflauf vorübergehend unheilbar Kranker, für die sonst nirgends Platz wäre, so zahlreich sind sie.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.01.2014

Angesichts naiver Familienromane auf den Büchertischen findet Rainer Moritz die Fortsetzung von Andreas Maiers Friedberg-Saga durchaus bemerkenswert. All die Niedertracht und Verdrängung und die beklemmende Finsternis einer angstgeprägten Jugend in der deutschen Provinz der 70er Jahre vermag der Autor dem Rezensenten zu vermitteln. Dass es Maier nicht gelingt, erzählerisch über die bloße Erörterung seines Themas und ein sich selbst bestätigendes Raisonnement hinauszugelangen und seinem Erzähler-Ich Handlungsraum zu verschaffen, findet Moritz dennoch bedauerlich.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 19.12.2013

Mit "Die Straße" setzt Andreas Maier seine "Ortsumgehung" fort, den Zyklus über seine Heimat, und dieser neueste Band ist der bisher gewagteste, schreibt Rezensentin Ina Hartwig. Die Familie des Erzählers, Maiers Familie eigentlich, bekommt Besuch von einem amerikanischen Austauschschüler, der den an GI's geschulten Erwartungen von Maiers Schwester so gar nicht entsprechen will: ein dicker Mensch mit "Traurigkeitshintergrund" kommt da ins Haus, einer, der bei seiner letzten Gastfamilie wohl Schreckliches erlebt hat, worüber aber nicht gesprochen wird, berichtet die Rezensentin. Es geht in den Tiefenschichten dieses Buches immer um die Fixierung auf Unausgesprochenes, das noch gegenwärtig ist, wenn es längst verdrängt wurde, erklärt Hartwig., die das Buch mit Interesse und Anteilnahme gelesen hat.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 09.12.2013

Einen Heimatwälzer der besonderen Art hat Christian Thomas zu empfehlen. Für ihn ist der dritte Teil von Andreas Maiers Wetterau-Saga wiederum ein mit der Erbschaft Thomas Bernhard umgehender böser Blick auf die Neugier und die Ängste, das Böse und die Sexualität unserer Spezies, diesmal am Beispiel des pubertierenden Erzählers und seiner verdeckt durchsexualisierten Umgebung zu Beginn der 80er Jahre. Spannung gewinnt der Text laut Thomas durch Lakonie und feine Handlungselemente, etwa, wenn ein herbeifantasierter Exhibitionist durchs Dorf getrieben wird. Dass der Autor strikt aus Sicht des Pubertierenden schreibe, hält Thomas allerdings für ein Gerücht. Macht auch nichts, meint er, den "Durchblickerblick" des Essayisten plaziert der Autor noch stets pointensicher.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 10.09.2013

In seinem neuen Roman zieht Andreas Maier die konzentrischen Kreise seiner Erinnerung weiter, nach "Das Zimmer" und "Das Haus" folgt nun "Die Straße". Maiers Bücher sind nie reine Erinnerungsstücke, sondern meist einem Erkenntnisinteresse verpflichtet, weiß Jörg Magenau. Und gerade in diesem neuen Roman wird das sehr deutlich, findet er, das Buch erinnert ihn zuweilen an eine soziologische oder psychologische Analyse, so komplex rekonstruiert Maier die Vergangenheit. Es geht also zunächst einmal um seine Schwester und deren Liebschaften mit amerikanischen Soldaten, fasst der Rezensent zusammen. Ihre Kenntnisse in Sexfragen bezieht sie aus der Bravo und hier kommt die eigentliche Frage ins Spiel, verrät Magenau: welche Art von Sexualität und normiertem Begehren kann aus den Ratschlägen eines Dr. Sommer entstehen? Es ist Maier also um die "Maschinisierungsgrade unserer Sehnsucht" bestellt, erklärt der Rezensent, und um die Kluft, die zwischen einem klinischen Vokabular und dem echten Begehren klafft.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.09.2013

Ach, die Achtziger! Baumarkt-Kultur, Bravo-Aufklärung und unter der Staubdecke überall das Dunkle. Anja Hirsch hat darüber aber dennoch gern gelesen bei Andreas Maier, weil er das alles so überaus witzig und naiv "mitstaunend", dann wieder à la Dostojewski als Zivilisationsgeschichte zu erzählen weiß. Dazu kommt im nunmehr dritten Teil von Maiers Friedberger Provinzpanorama der Suchteffekt. Partout will Hirsch wissen, wie der kleine autistische Andreas aus den Vorgängerbänden durch die Pubertät und die miefige Bundesrepublik stolpert. Sprachlich inszeniert wird das von Maier laut Rezensentin durchaus deftig und inmitten einer übersexualisierten, zugleich oberprüden Gesellschaft, in der überall die Exhibitionisten lauern und dem Jungen sowieso alles ziemlich außerirdisch vorkommt. Pubertät eben.
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