Friedrich Nietzsche

Friedrich Nietzsche: Werke. Kritische Gesamtausgabe (KGW)

Abt 9: Der handschriftliche Nachlass ab Frühjahr 1885 in differenzierter Transkription. Band 1: 3 Teilbände und 1 CD-Rom
Cover: Friedrich Nietzsche: Werke. Kritische Gesamtausgabe (KGW)
Walter de Gruyter Verlag, Berlin - New York 2001
ISBN 9783110161786
Gebunden, 650 Seiten, 198,00 EUR

Klappentext

CD-Rom mit Faksimiles des handschriftlichen Nachlasses. N VII 1, N VII 2, N VII 3, N VII 4. Begründet von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Fortgeführt von Wolfgang Müller-Lauter und Karl Pestalozzi. Herausgegeben von Marie-Luise Haase und Michael Kohlenbach in Verbindung mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Bearbeitet von Marie Luise Haase, Michael Kohlenbach, Johannes Neininger, Wolfert von Rahden, Thomas Riebe und Rene Stockmar, unter Mitarbeit von Dirk Setton.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 05.01.2006

Fasziniert - und das heißt mit einer Mischung aus Bewunderung und den Schwindelgefühlen einer metaphysischen Ausnüchterungskur - beobachtet Ludger Lütkhaus das zersetzende Werk einer ins Extrem getriebenen Philologie. Ein Spruch von Nietzsche scheint ihn in der Kritik der monumentalen Bände zu leiten: Philologen, heißt es da, seien "Vernichter jeden Glaubens, der auf Büchern beruht". Die letzten, von ihm selbst nicht mehr zum Werk gefügten Notate werden hier so treu wie möglich aufgezeichnet, berichtet der Rezensent, der den Leser zu Recht an die Editionsgeschichte dieser Spätprodukte des Philosophengeistes erinnert: Nietzsches Schwester hatte daraus die Aphorismensammlung "Der Wille zur Macht" gebastelt und Nietzsche zum Antisemiten und Vorläufer der Nazis gemacht, der er bei weitem nicht war. Erst die Nachkriegsausgaben Nietzsches von Schlechta über Colli und Montinari bis hin zur vorliegenden Edition haben das Werk der bösen Schwester immer weiter entzaubert. Hier nun "werden nicht weniger als fünf Schrifttypen und insgesamt sieben Farben zur Wiedergabe der diversen Tinten und Schrifttypen aufgeboten", berichtet der Rezensent. "Lohnt sich der Aufwand überhaupt?", fragt er. Ja, und sei es als Illustration der Einsicht, dass es eine "autoritative Reinschrift des Lebens" nicht gibt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 26.10.2002

Diese ersten drei Bände aus dem Nietzsche-Nachlass stellen die bisherigen Editionsprinzipien der berühmten "Kritischen Gesamtausgabe" auf den Kopf - oder doch eher auf die Füße, wenn man der Rezensentin Barbara von Reibnitz glauben darf. Das bisherige Bemühen um textgenetische Rekonstruktion, das stets in eine Hierarchisierung der Texte von den unfertigen zu den fertigen mündete, wird nun aufgegeben. Minutiös werden sämtliche Texte Nietzsches transkribiert, von der kleinsten Notiz zu Passagen in Reinschrift. Sichtbar wird Nietzsche nun endgültig als "exzessiver Schreiber", der immer schrieb, auch unterwegs. Gerade die Notizbücher sind, so von Reibnitz, eine "faszinierende" Lektüre, ein "Neben-, Auf- und Ineinander von Lektürenotizen, Gedankenexperimenten, Werkentwürfen und lebenspraktischen Notaten." Dies nun lesbar gemacht zu haben, ohne bevormundend einzugreifen, hält die Rezensentin für ein unbestreitbares Verdienst dieser neuen Edition. Was sie bemängelt, sind eher Kleinigkeiten: etwa die mediale Trennung von Faksimile und Transkription, die Faksimiles nämlich sind derzeit nur auf der beigelegten CD-Rom in Augenschein zu nehmen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 03.08.2002

Recht ausführlich erzählt Ludger Lütkehaus noch einmal die Geschichte der bisherigen Editionen von Nietzsches nie vollendetem, ja, sogar aufgegebenem Buchprojekt "Wille zur Macht". Erst zur Unkenntlichkeit rassistisch entstellt von der ehrgeizigen und im Ehrgeiz geradezu kriminellen Schwester, dann zweimal mit mehr editorischer Sorgfalt zurechtgerückt, zuletzt in der maßgeblichen kritischen Ausgabe von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Nun aber zeigt sich: auch diese war nicht der Weisheit letzter Schluss. Es gab Auslassungen und die Unterschiebung einer chronologischen Ordnung. Damit will nun diese neueste Edition aufräumen, die im Rahmen der alten Ausgabe, aber als deren Revision, erscheint. Erstmals gibt es nun, so Lütkehaus, eine "diplomatisch treue Transskription der Manuskripte" - und was man sieht, ist das reine, aber authentische "Chaos". Jedoch, fragt der Rezensent, verschwindet hier nicht das Werk hinter der wahrhaft gründlichen Dokumentation seiner Entstehung? Und wenn ja: wäre das nicht gerade richtig als "zersetzende" Reaktion auf Förster-Nietzsches Entstellung? Lütkehaus antwortet entschieden: ja. Und vor allem, meint er, lohnt sich das "Exerzitium" der Lektüre, denn der Nietzsche, den man kennenlernt, ist, viel mehr noch als der, den man schon kennt, einer voller Widersprüche, ein Denker in ständiger Unruhe und Bewegung.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 24.11.2001

Es ist nun endgültig Schluss mit den Fehllektüren, die Nietzsche zum vielleicht umstrittensten Denker des 20. Jahrhunderts machten. Sagt Ulrich Raulff nach Lektüre der neuen Ausgabe des Nachlasses. An ihr Ende gelangt dadurch die "Historie der Nietzsche-Werkfälschung", gegen die zuletzt auch der große Nietzsche-Herausgeber Montinari in seinen Editionsplänen des Nachlasses nicht genug zu unternehmen vorhatte. So warf man, finanziert von DFG und Schweizer Nachlassfonds, die Pläne um, heraus kommt die, so Raulff, "radikale Dekonstruktion des Autors Nietzsche". Es führt darum jedoch, will er meinen, kein Weg herum, das offenbart der nun gewährte Blick in die "Werkstatt des schreibenden Philosophen". Kein Werk, nirgends, nur die "erstarrte Lava eines Vulkans", nur "tausend Titelblätter zu ungeborenen Büchern". Kann man das lesen, fragt Raulff und antwortet mit ja und nein. Seine Gegenfrage: "Was kann angesichts dieses 'Texts' überhaupt noch 'lesen' heißen?" Man muss es wohl, an diesem ins Chaos zerfledderten Nietzsche, "neu lernen".
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