Wolfgang Hilbig

Das Provisorium

Roman
Cover: Das Provisorium
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2000
ISBN 9783100336231
gebunden, 319 Seiten, 20,35 EUR

Klappentext

Der Schriftsteller C. aus Leipzig darf in den achtziger Jahren die DDR vorübergehend mit einem Visum verlassen. In der Bundesrepublik verliebt er sich in eine Westdeutsche, doch die gegensätzlichen Erfahrungen und Prägungen der beiden Partner zermürben ihr Verhältnis. Obwohl sich C. im Westen nach wie vor unwohl und fremd fühlt, er immer mehr in Alkoholexzessen und in Schreibhemmungen versinkt, läßt er den Termin für seine Rückreise verstreichen, wodurch der Osten für ihn unerreichbar wird.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 23.03.2000

Sybille Cramer schwelgt gerade zu im erzählerischen Unglück des aus der DDR in den Westen emigrierten Wolfgang Hilbig, der sich seine innere Verzweifelung, seine Entwurzelung, seine alkoholischen Exzesse, seine Don Quijoterien vom Leibe schreibt. Kein einfacher Bekenntnisroman oder biographischer Bericht aus der Trinkerheilanstalt, sondern eine zweistimmig angelegte Beichte, die ihr "Geschichts- und Geschichtenmaterial mit Raffinement komponiert", eine Art episches Theater, in dem der Autor das Schreib-Spiel als Distanzierung vom Leben nutzt. Hilbigs Sprache wechselt dabei ständig die Tonlagen, schreibt Cramer, von der "fiebrigen Betroffenheit des Erlebens" zur ironischen Betrachtung des Geschehenen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 23.03.2000

Hilbig habe seinen neuen Roman zunächst in der Ich-Form aufgeschrieben und dann entdeckt, dass er doch die distanzierende Form der Erzählung in der dritten Person brauchte, um das Buch glaubhaft zu finden, schreibt der Rezensent Gerrit Bartels. Wieder einmal also spiegele sich Hilbig in der Figur des "C." Beeindruckt zeigt sich Bartels von der Ortlosigkeit dieses Autoren-Alter-Egos zwischen der DDR, die er verabscheut und die ihn in den achtziger Jahren ausreisen lässt und dem Westen, in dem er ebenso wenig heimisch wird. Bartels stellt "Das Provisorium" als das Buch dar, das der Schrifsteller "C." im Roman nicht vollenden kann - und das also durch seine bloße Existenz gegen allen Alkoholismus und alle Verzweiflung ein gewisses Hoffnungsmoment darstelle. Nicht gefallen hat Bartels Hilbigs Kommunismus- und Kapitalismuskritik, die er formelhaft und banal findet.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 22.03.2000

"Bestürzend in seiner Schonungslosigkeit, seiner Direktheit" findet Helmut Böttiger Wolfgang Hilbigs Roman "Das Provisorium", der bis ins Detail alle Stadien des Alkoholismus seiner Haupfigur C. festhält. Bevor Böttiger sich jedoch dem Roman zuwendet, "einer furios romantisches Bildungsphantasie des 19. Jahrhunderts", gibt er einen kurzen Überblick über Hilbig und seine in der DDR wurzelnde Literatur. Er endet schließlich mit der nicht sehr originellen Feststellung, daß Hilbig mit dem Untergang der DDR sein Gegenstand abhanden kam und nun zum ersten Mal der Westen eine Rolle spielt, wo "Literatur keinen Fluchtraum" mehr bietet. Schreibkrise und Alkoholismus also, weil das "Dasein ohne Herkunft", das "Leben ohne Geschichte" ist. Ein "document humain", meint der tief beeindruckte Böttiger, "höchstens mit Céline" zu vergleichen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 24.02.2000

In rückhaltloser Begeisterung, aber ohne die Schwächen des Buchs zu verschweigen, schreibt Ursula März über diesen neuen Roman des "kompletten Außenseiters" der DDR-Literatur. Sie zeichnet den Weg des Schriftsteller C. nach, der 1985 ein Visum für den Westen erhält und im Suff versinkt. Der Westen werde dabei genauso schlecht behandelt wie der Osten. Der Roman, der vorzugsweise in Bahnhofsspelunken zu spielen scheint, schildere das Leben des C. als "alttestamentliches Inferno", bevor er in breiiger Konsistenz buchstäblich untergehe. Perfekt ist der Roman nach März nicht: Manche Handlungsstränge würden schlicht vergessen, andere ohne Sinn wieder aufgenommen. Aber was ist schon der blasse Anspruch literarischer Perfektion gegen "die Vehemenz des Buchs". Ein wenig gestört fühlt sich die Rezensentin nur durch die "Ausgewogenheit" der Ungerechtigkeiten gegen Ost und West. Hilbigs Hass auf die Ex-DDR findet sie authentischer als den auf den Westen, der mit dem üblichen Bildervorrat - von Fußgängerzonen über die Prostitution - möbliert werde.