T.C. Boyle

Das wilde Kind

Erzählung
Cover: Das wilde Kind
Carl Hanser Verlag, München 2010
ISBN 9783446235144
Gebunden, 106 Seiten, 12,90 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren. Ein Mensch? Ein Tier? Oder irgendetwas dazwischen? Neben Kaspar Hauser war Victor von Aveyron der berühmteste Fall eines "Wolfskinds". Eine nackte Kreatur, die sich, in Südfrankreich von Jägern entdeckt, auf einem Baum versteckt. Er kann nicht sprechen, isst Nüsse und Wurzeln und verabscheut gekochte Speisen. Ist sein merkwürdiges Verhalten kulturell oder biologisch bedingt? Ist der Mensch - frei nach Rousseau - von Natur aus gut, oder prägt erst die Erziehung sein Wesen? Boyle, der in den USA lebende Autor, hat sich dem Fall Victor von Aveyron angenommen. In seinem zutiefst ergreifenden Porträt eines Wolfskindes geht er der subtilen Grenze nach, an der sich entscheidet, wer Mensch und wer Tier ist.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.07.2010

Erst ahnt Mara Delius noch eine Geschichte über den Einfluss von Erziehung, über die Frage, was den Mensch zum Menschen macht, eine Gegenüberstellung von Natur und Kultur usw. Schließlich nimmt sich T. C. Boyle der wahren Geschichte des wilden Kindes von Aveyron an und versucht eine Neudeutung. Leider aber wird der Autor den Erwartungen der Rezensentin nicht gerecht. Boyles Verständnis von Wildheit empfindet Delius als zu glatt, zu romantisch. Auch tönt ihr die Erzählung allzu proseminaristisch nach Rousseau, Locke, Hobbes. Von einer Spannung zwischen Natur und Kultur am Beginn der Moderne keine Spur.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 14.04.2010

Beklommen und beeindruckt ist Rezensentin Irene Binal von dieser Novelle, in der T.C. Boyle die Geschichte des sogenannten Wolfsjungen Victor von Aveyron erzählt, der 1797 von Jägern in Südfrankreich gefunden, vielleicht auch gefangen genommen wurde und von den wissenschaftlichen und ärztlichen Koryphäen der Gesellschaft auf Teufel komm raus zivilisiert werden sollte. Binal sind hier all die "Grausamkeit und Ignoranz" begegnet, zu der unsere Zivilisation gegenüber dem Fremden fähig ist. Dass Boyle aber auch von Rebellion und Freiheit erzählt, und das in schlichter Lakonie und dabei immer wieder in "herzzerreißenden Bildern" hat die Rezensentin nachhaltig berührt.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 08.04.2010

Großen Eindruck hat diese "verstörende Novelle" über die versuchte Zivilisierung eines Wolfskindes im 18. Jahrhundert auf Susanne Mayer gemacht. Nicht nur wegen der großen Schönheit, die dem poetischen Text von der Kritikerin bescheinigt wird, den sie als "vorsichtige Annäherung" an den Protagonisten beschreibt. Sondern auch auf Grund der Art, wie der amerikanische Autor die verzweifelten Versuche des "wilden Kindes" zeichnet, sich gegen alle Zivilisationsversuche eine "Art Wildnis der Seele" zu bewahren. Auch der Blick, den das Buch indirekt auf heutige Erziehungsdebatten öffnet, gibt der Kritikerin augenscheinlich sehr zu denken. Und auch die Zivilisation, in der das wilde Kind schnell "dahingewelkt" und gestorben ist.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 03.04.2010

Einmal mehr zeigt T. C. Boyle mit diesem Buch seine großen Qualitäten als Erzähler auf, lobt Rezensent Frank Schäfer, dem diese Erzählung über einen realen Fall aus dem 18. Jahrhundert im Übrigen auch einmal mehr die große Überlegenheit der Literatur über die Wissenschaft demonstriert hat. Denn Boyle schlüpfe in die Rolle des nachträglich domestizierten Wolfskindes und lege sehr suggestiv offen, was dieses Naturwesen verliert, als es unter die Menschen fällt. Der Text ist Schäfer zufolge die Titelgeschichte aus Boyles jüngstem Erzählband, die in Deutschland aber separat veröffentlicht worden sei.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 29.03.2010

Jutta Person ist dankbar dafür, dass T. C. Boyle in seiner ursprünglich als Teil des Romans "Talk Talk" gedachten Erzählung Mythos und Gegenmythos des Wolfsjungen verhandelt, sich ferner mit satirischem Feuerwerk zurückhält und auch keine Romantisierung beziehungsweise Verteufelung in puncto schwarzer Pädagogik für nötig hält. Laut Person folgt der Text weitgehend dem historischen Fall des 1797 in den Pyrenäen entdeckten französischen Jungen. Persons leichte Irritation angesichts der von Boyle stattdessen verhandelten abstrakten Ideen verflüchtigt sich bald, und übrig bleibt das Glück, weiterhin nicht zu wissen, was genau es ist, "das in uns Mäuse frisst".
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