Jürgen Habermas

Der gespaltene Westen

Kleine politische Schriften
Cover: Der gespaltene Westen
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004
ISBN 9783518123836
Kartoniert, 194 Seiten, 10,00 EUR

Klappentext

Der einig geglaubte Westen ist gespalten. Jedoch nicht die Gefahr des internationalen Terrorismus hat diese Entwicklung verursacht, sondern eine Politik der US-Regierung, die das Völkerrecht ignoriert, die Vereinten Nationen an den Rand drängt und den Bruch mit Europa in Kauf nimmt. Die Spaltung zieht sich auch durch Europa und durch Amerika selbst hindurch. In Deutschland wirkt die Abkehr der amerikanischen Administration und der Eliten von ihren eigenen Traditionen wie ein Lackmustest. Heute zerfällt die chemische Verbindung, aus der die Westorientierung der Bundesrepublik seit Adenauer bestanden hat, in ihre beiden Elemente: opportunistische Anpassung an die hegemoniale Macht trennt sich von intellektueller und moralischer Bindung an die Prinzipien einer westlichen Kultur. "Der gespaltene Westen" versammelt Beiträge, die infolge der Ereignisse vom 11. September 2001 entstanden, darunter der neue, weitausgreifende Essay über die Zukunft des Kantischen Projekts einer weltbürgerlichen Ordnung.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 06.07.2004

"Als kritischen Zeitgenossen, als citoyen und Kosmopoliten" erweise sich Jürgen Habermas in seinem Essay-Band "Der gespaltene Westen", dem zehnten Band der "Kleinen Politischen Schriften", befindet Rezensent Uwe Justus Wenzel. Insbesondere sein Essay "Der 15. Februar - oder: Was die Europäer verbindet", den die FAZ am 31. Mai 2003 unter dem Titel "Unsere Erneuerung. Nach dem Krieg: Die Wiedergeburt Europas" veröffentlicht hatte, findet Wenzel überzeugend. Er hebt hervor, dass sich Habermas' viel zitierter Satz: "Machen wir uns nichts vor: Die normative Autorität Amerikas liegt in Trümmern" nicht generell gegen die USA wende, sondern auf das völkerrechtswidrige Vorgehen der Bush-Regierung im Irak-Krieg abziele. Die USA als "älteste Demokratie der Welt" ermahne Habermas, sich auf ihre "bessere Tradition" und ihre Rechtsprinzipien zu besinnen. Allerdings beschränke sich die Aushöhlung der eigenen Traditionen nach Habermas nicht auf die USA, sie habe auch nicht erst mit dem letzten Irak-Krieg begonnen. Wenn und solange der Westen anderen Kulturen vornehmlich "mit der aufreizend banalisierenden Unwiderstehlichkeit einer materialistisch einebnenden Konsumgüterkultur" begegne und mit Menschenrechten nicht viel mehr als den "Export von Marktfreiheiten" im Sinn habe, referiert Wenzel die Kritik des Philosophen, präsentiere der Westen sich "tatsächlich in normativ entkernter Gestalt". Wenzel hebt eine hier erstmals publizierte Studie von Habermas über die Entwicklung des Völkerrechts nach 1945 hervor, die durchaus in eine "kantische" Richtung weise. Habermas erörtere darin das grundbegriffliche Fundament des Völkerrechts, rekapituliert seine historischen Formationsphasen und unterrichtet über die Konkurrenten des kantischen Modells.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 18.06.2004

Die "immerfrischen Kraft der Vernunft" spricht für Franziska Augstein aus Jürgen Habermas' neuem Buch "Der gespaltene Westen", einer Sammlung von Essays und Gesprächen über die Auswirkungen des 11. September samt einer philosophischen Coda über das "Kantische Projekt" einer Weltbürgergesellschaft. Im Namen des demokratischen Liberalismus, so die Rezensentin, kritisiere der Philosoph und Begründer der Theorie des kommunikativen Handelns den "hegemonialen Unilateralismus" der amerikanische Regierung, ihre Missachtung des Völkerrechts und ihre patriotische Stimmungsmache seit dem 11. September. "Die normative Autorität Amerikas liegt in Trümmern", zitiert Augstein den Philosophen, eine Einschätzung, die sie durchaus nachvollziehbar findet. Sie hebt hervor, dass Habermas ob der vielen negativen Entwicklungen auf dem Globus nicht verzweifle, sondern sich entrüste, und zwar "theoretisch präzise" und "politisch schneidend". Sympathisch findet sie auch Habermas' Plädoyer für eine Weltorganisation als Gemeinschaft von Staaten und Bürgern, eine Idee, die seines Erachtens auch die amerikanische Regierung nicht kleinkriegen könne.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 17.06.2004

Erwartungsvoll hat Robert Misik den neuen Band der "Kleinen politischen Schriften" des Philosophen Jürgen Habermas gelesen. Darin beschäftigt sich Habermas mit der Frage nach der Identität Europas und mit den Folgen des Terroranschlags des 11. September auf die Beziehungen zwischen Amerika und Europa und insbesondere auf das Völkerrecht, fasst der Rezensent zusammen. Der Philosoph wirft dabei der Bush-Regierung eine "unilaterale Hegemonialpolitik" vor, die sich von geltendem Völkerrecht abgewandt hat, so Misik weiter. Die in dem Band vorgetragenen Thesen seien zwar nicht neu, räumt der Rezensent ein, ungewohnt sei jedoch der "drängende Ton", den Habermas darin anstimme. Er bringt seine Thesen mit der "Geste, die insinuiert: Die Zeit drängt" vor, wobei "Zorn" und "Euphorie" spürbar werden, stellt Misik fest, für den diese Haltung seltsam kontrastiert mit der Stagnation, die die "europäische Integration dieser Tage" durchmacht, wie er betont.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 24.05.2004

Dieser Band enthält, informiert uns Hilal Sezgin, neben aktuellen politischen Stellungnahmen von Jürgen Habermas in Form von Interviews und Artikeln auch einen ausführlichen, bislang unveröffentlichten Aufsatz, in dem Habermas nach den Zukunftschancen des Völkerrechts fragt, nachdem "insbesondere die USA in den letzten Jahren recht unbekümmert daran vorbei agiert haben, wie Sezgin meint. An diesem Punkt hatte die Rezensentin den Eindruck, dass sich die Betonung bei Habermas ein wenig verschoben hat: Die Legitimität einer Politik der UNO werde hier nicht mehr vorrangig "von der Weltöffentlichkeit als Ganzer" abgeleitet, sondern von dem Zusammenschluss bereits legitimer Nationalstaaten. Die "Milde", mit der Habermas "das Bestehende am Entfernten" ausrichtet, und "die theoretischen Kniffe und Begriffe", mit denen er "in jedem Hier und Jetzt noch ein Körnchen demokratische Wahrhaftigkeit" finde, urteilt Sezgin insgesamt, ließen einen "bisweilen nervös mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte trommeln".
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