Redaktionsblog - Im Ententeich

Deutsche Zeitungen stehen kaum noch online

Von Thierry Chervel
04.10.2011.
Anders als es die Zeitungen bei Online-Relaunches verlautbaren, wird ihr Internetangebot immer knapper. Jedenfalls kann man nicht behaupten, dass es noch die Zeitungen seien, die online stehen. Die Schaufenster der ihrer Online-Ableger haben mit den Zeitungen selbst immer weniger zu tun. Jüngstes Beispiel für diese etwas vertrackte Tendenz ist der Relaunch des FAZ.Nets. Mag sein, dass die Online-Redakteure der FAZ manch neue Rubrik erfunden haben, obwohl die Selbstdarstellung in der heutigen FAZ (die auch online steht) eigentlich nichts dergleichen bemerkt und vor allem auf das neue Layout eingeht. Die eigentliche Zeitung wird hinter dem Online-Auftritt immer mehr versteckt.

Deutlich wird das an der Aufgabe einer kleinen, oft unbemerkten Rubrik im bisherigen Auftritt der FAZ, der "FAZ Texte". Hier konnten Nicht-Abonnenten der Zeitung durch Lektüre der Überschriften und Unterzeilen immerhin feststellen, was in der Zeitung steht: Die Rubrik war ein Inhaltsverzeichnis der Printzeitung. Tendenziell jeder Artikel der Zeitung war hier aufgeführt. Als Abonnent konnte man sich einloggen und den Artikel am Erscheinungstag als html-Datei lesen. Diese Rubrik ist, so scheint es, nun abgeschafft.

Ausgerechnet für Abonnenten der Print-FAZ verschlechtert sich der Service des FAZ.Nets also durch den Relaunch! Wenn sie unterwegs sind, haben die kugen Köpfe keine Chance mehr, sich noch klüger zu machen.

Verwiesen werden sie nun auf das Epaper-Angebot der FAZ. So bestätigt mir es auch eine Sprecherin des FAZ-Nets auf telefonische Anfrage. Aber dieses Angebot soll nur für drei Monate kostenlos sein. Und dann ist es selbst für Print-Abonnnenten zusätzlich kostenpflichtig.

Die FAZ ist nicht die einzige Zeitung, die in Deutschland so verfährt. Aus der Süddeutschen Zeitung ist online praktisch nichts mehr kostenlos zu lesen. Ein Online-Inhaltsverzeichnis der SZ, aus dem der Leser immerhin erfahren könnte, ob es ihn überhaupt interessiert, die Zeitung zu kaufen, gibt es ebenfalls nicht (jedenfalls haben wir es nicht gefunden). Man könnte die Artikel zwar prinzipiell über Online-Archive wie Genios kaufen - aber dafür müsste man ja erstmal wissen, dass diese Artikel überhaupt existieren. Und außerdem kostet ein einzelner Artikel dort 3 Euro und mehr. Als überzeugendes Bezahlmodell würde ich das nicht bezeichnen.

Auch die FR stellt kaum noch einen Artikel online, und auch die FR verzichtet auf ein Inhaltsverzeichnis im Netz, aus dem Online-Nutzer ersehen könnten, was ihnen im Netz vorenthalten wird (und warum es sich eventuell lohnen könnte, die Zeitung zu kaufen). Die heute weitgehend mit der FR identische Berliner Zeitung hatte bislang noch ein Inhaltsverzeichnis im Netz, das sogar prominent rechts oben präsentiert wurde. Dieses Inhaltsverzeichnis wurde gestrichen. Und viele Artikel stehen nicht mehr online.

Warum machen die Zeitungen das?

Könnte es sein, dass die Zeitungen systematisch versuchen, die Leser aus dem Netz zu holen? Die Frage klingt zunächst absurd, aber sie wird plausibel vor dem Hintergrund der neuesten Netzrevolution, die das Netz womöglich mehr gefährdet als bereichert: der Tablet-Computer, und hier natürlich vor allem des Ipad und später vielleicht noch des Kindle Fire von Amazon. Die Zeitungen träumen davon, sich dort wieder als schicke und geschlossene Oberflächen anzubieten. Es macht so einen Spaß, hier über die Seiten zu wischen. Anzeigen lassen sich hier womöglich teurer verkaufen als im Web. Aber eine App ist eine App, sie hat ihre Grenzen in sich selbst. Bestimmte Eigenschaften, die das Netz so faszinierend machen, drohen dort wieder zu verkümmen: die Offenheit, das Kooperative, die Diskussionkultur, die Verweisstruktur der Links und Empfehlungen.

Das Ipad bedeutet eine Remonopolisierung von Inhalten durch neue Akteure im Medienmarkt: Apple und Amazon. Ihnen unterwerfen sich die Zeitungen, wenn sie sich aus dem Netz zurückziehen, allein schon dadurch, dass Apple und Amazon sich vorbehalten, die kostbaren Nutzerdaten zu verwalten, und große Provisionen einstreichen. Von neuen Zensurmöglichkeiten abgesehen: Werden Jobs und Bezos zu den neuen Herren der Öffentlichkeit?

Obsolet wird vor diesem Hintergrund auch die Leistungsschutzdebatte.

Die Zeitungen müssen ihre Forderungen zurückziehen. Sie können nicht gegenüber der Politik und Gesellschaft über die Kostenloskultur im Internet klagen, wenn sie allenfalls zehn Prozent ihrer Zeitungsinhalte kostenlos hergeben. Das ist ihr gutes Recht, aber wofür genau wollen die Zeitungen Leistungsschutzrechte? Die spezifischen Netzinhalte der Online-Schaufenster lassen sich ja nicht als Zeitungstexte betrachten. Das FAZ.Net bezeichnet sich als "Nachrichtenportal". Leitungsschutzrechte auf Nachrichten?

In zwanzig Jahren Internet sind die deutschen Zeitungen einen Sonderweg gegangen. Sie haben sich - mit Zwischenphasen - immer mehr vom Netz abgeschottet. Es gibt sie, abgesehen von den Epapers und Online-Archiven, praktisch wieder nur noch im Print.

Thierry Chervel

twitter.com/chervel