Außer Atem: Das Berlinale Blog

Enges Drehbuchkorsett: Asghar Farhadis 'Nader And Simin, A Separation'

Von Lukas Foerster
15.02.2011. Für nicht wenige Beobachter war der iranische Beitrag "Nader And Simin, A Separation" bereits vor dem Festival der große Favorit für den goldenen Bären, hauptsächlich aufgrund der Causa Jafar Panahi, die sich die Berlinale etwas verspätet zueigen gemacht hat. Nachdem der neue Film Asghar Farhadis, eines in- und außerhalb seiner Filme politisch zurückhaltenden Kollegen Jafar Panahis, nun der Presse vorgeführt wurde, gibt es wenig Grund, diese Einschätzung zu revidieren. Besonders viel Schwung bringt "Nader And Simin" freilich dennoch nicht in den Wettbewerb.

Für nicht wenige Beobachter war der iranische Beitrag "Nader And Simin, A Separation" bereits vor dem Festival der große Favorit für den goldenen Bären, hauptsächlich aufgrund der Causa Jafar Panahi, die sich die Berlinale etwas verspätet zueigen gemacht hat. Nachdem der neue Film Asghar Farhadis, eines in- und außerhalb seiner Filme politisch zurückhaltenden Kollegen Jafar Panahis, nun der Presse vorgeführt wurde, gibt es wenig Grund, diese Einschätzung zu revidieren. Besonders viel Schwung bringt "Nader And Simin" freilich dennoch nicht in den Wettbewerb.

Die Titelfiguren Nader und Simin gehören der urbanen oberen Mittelschicht an und stehen kurz vor der Trennung. Sie möchte ins Ausland, er nicht, die jugendliche, bebrillte Tochter Termeh (sehr überzeugend gespielt von Sarina Farhadi, der Tochter des Regisseurs) steht dazwischen. Noch während über die Einzelheiten der Trennung diskutiert wird, tritt eine zweite, sozial deutlich niedriger gestellte Familie ins Leben der drei: Nader stellt eine Pflegerin für seinen alzheimerkranken Vater ein. Die bringt zur Arbeit ihre Tochter mit und versucht, nachdem sie erkennt, dass sie den alten Mann auch säubern muss (was sie aus religiösen Gründen ablehnt), die Arbeit an ihren Mann weiter zu vermitteln. Doch bevor es soweit kommt, ereignet sich ein Unfall, dessen exakten Hergang Farhadi zwar zunächst geschickt im Unklaren lässt; die Folgen aber beschäftigen den Film für den Rest seiner Laufzeit.

"Nader And Simin, A Seperation" hat eine ähnliche Struktur, ähnliche Stärken und auch ähnliche Probleme wie sein Vorgänger "All About Elly", der vor zwei Jahren im Wettbewerb zu sehen war und erst vor einem Monat die deutschen Programmkinos erreichte. Auch Farhadis neuer Film nimmt zunächst sehr für sich ein mit seiner flüssigen Montage und seinen intelligenten Einstellungen. Dynamisch und unaufdringlich, ohne jede manipulierende Geste - fast der gesamte Film kommt ohne Musik aus, spröde wirkt er in keiner einzigen Szene - führt der Film sein Personal ein. Viel von der sozialen Umgebung Naders und Simins dringt ganz nebenbei in den Film ein: Passanten auf den Straßen der besseren Gesellschaft Teherans, die Frauen, denen es trotz der rigiden Kleidungsvorschriften gelingt, einen Hauch von Mondänität in der Art zu kommunizieren, in der sie ihren gefärbten Haaransatz unter dem Kopftuch aufblitzen lassen, die neugierigen Nachbarn im Mietshaus. Den Figuren und auch ihren Beziehungen untereinander scheinen zunächst noch jede Menge Entwicklungsfreiheiten gelassen: Menschen, die zwar klare Ziele verfolgen, aber auch die Möglichkeit haben, auf die Welt um sie herum zu reagieren.


Leider verändert sich all das, sobald der Unfall, der vielleicht gar keiner ist, in den Film tritt und dessen anfangs noch offene Anlage auf eine Ermittlung verengt. In der Folge überhäuft Farhadi (dem es wieder nicht ganz gelingt, das einzulösen, was man sich nach seinem bisher besten Film "Fireworks Wednesday" von ihm erhoffen durfte) seine Figuren mit moralischen Dilemmata, er zwingt sie in ein tränenseliges, intimes Zwiegespräch nach dem anderen, er konkretisiert die Klassenspannung zwischen den beiden zentralen Familien, die vorher klug im Unausgesprochenen, in den Voraussetzungen der Kommunikation, nicht in ihr selbst, angesiedelt war, in unangenehmer, teilweise fast sozialvoyeuristischer Manier.

Damit man mich nicht falsch versteht: Ein schlechter Film ist "Nader And Simin" nicht, auch nicht in diesem - leider deutlich längeren und schließlich eindeutig zu langen - zweiten Teil. Farhadi hat seine erst dezent, dann immer weniger dezent melodramatischen Plot-Mechanismen stets perfekt im Griff, formal macht der Film ohnehin bis zum Schluss nichts falsch, die Figuren verhalten sich zwar allzu berechenbar, aber bleiben glaubwürdig. Man würde sich aber doch wünschen, dass der ohne Zweifel sehr talentierte Regisseur bei seinem nächsten Film darauf verzichten würde, seine interessanten Figuren und seine reichhaltige Welt in ein derart enges Drehbuchkorsett zu pressen.

"Nader And Simin, A Separation" ("Jodaeiye Nader az Simin"). Regie: Asghar Farhadi. Darsteller: Leila Hatami, Peyman Moadi, Shahab Hosseini, Sareh Bayat, Sa rina Farhadi, Babak Karimi, Merila Zarei. Iran 2011, 123 Minuten (Wettbewerb, Vorführtermine)