Mord und Ratschlag

Frauenrätsel

Die Krimikolumne. Von Michael Schweizer
05.07.2005. Erst hat Manuel Vazquez Montalbans Pepe Carvalho seiner Geliebten Laura die Welt der Bücher gezeigt, jetzt hat er ihre Asche im Wohnzimmer. Christine Lehmann konfrontiert ihre investigative Reporterin Lisa Nerz mit mordenden Polizisten und evolutionsbremsenden Teenagern.
Laura Buscato ist erschlagen worden. Ihre Lehrerkollegin Luisa Galvez beauftragt Pepe Carvalho, den Täter zu finden. Der Detektiv Carvalho kannte Laura: Sie war zehn Jahre lang seine Geliebte, er hat, weil sie es so wollte, zu Hause die Urne mit ihrer Asche.

Manuel Vazquez Montalbans (1939 - 2003) Copyright auf "Lauras Asche" und "Catalina - Was gewesen sein hätte können und nicht war" datiert auf 1990. Erst zehn Jahre später sind die Erzählungen als spanisches Buch erschienen. Es sind Nebenwerke, aber auch mustergültige Mini-Carvalhos. Wer den belesenen Gourmet noch nicht kennt, kann das mit Wagenbachs purpurrotem Salto-Bändchen ausprobieren.

Typisch ist zum Beispiel, wie sich Montalban auf die Zeitgeschichte bezieht. Carvalho war Lauras "Pygmalion". In seiner Bibliothek hat die junge Frau folgenreich die Literatur entdeckt: Sie hat ihren Mann verlassen, einen Beruf gelernt und weitergelesen. Die Emanzipation durch Bildung war politisch: "Kein Buch, das versucht hätte, die Siebzigerjahre zu erfassen, fehlt in Lauras Bücherregalen." Pepe-Carvalho-Romane beginnen meist in den Jahren, in denen Montalban sie geschrieben hat, manche reichen aber bis in die Franco-Zeit zurück - der Diktator starb 1975 -, und bis zu den demokratischen und revolutionären Hoffnungen von 1968. Meist geht es um Verrat.

So auch in "Catalina" aus dem Song "Catalina es cosa fina": Der Mord an einem alterndern Sänger wird begangen, weil sich der Rock, die einstige Rebellionsmusik, jetzt als Kaufhausdudelei und Kriegsmarsch prostituiert. Sich dafür zu rächen, hält der Täter für gute Gewalt. Ein 68er Thema.

Die Art, in der Montalban die Geschichte mitdenkt, bremst seinen Stil. Vieles sieht der Leser durch einen Reflexionsfilter: "Es ist die Langsamkeit eines traurigen Abschieds, so als wäre die geheimnisvolle mechanische Vorrichtung, die den Vorgang steuert, sich dessen bewusst, dass der Verbrennung eines menschlichen Wesens eine gewisse Bedeutung zugemessen werden muss." Was andere ausmalen würden, fasst der Spanier knapp zusammen: "Er richtete seine Gewalt gegen sie, vor dem heulenden Kind." Direkt hintereinander gelesen, wirken die Erzählungen durch ihren ähnlichen Bau etwas starr: Am Anfang wird das Opfer eingeäschert oder entdeckt, dann redet Carvalho der Reihe nach mit Zeugen und Verdächtigen, schließlich geht er nochmal zum Täter.

Zwischen Theres Moser, die für Wagenbach schon andere Montalban-Bücher übertragen hat, und dem Verlag scheint diesmal etwas schief gegangen zu sein: Im Buch wird keine Übersetzerin genannt, und der Text wirkt stellenweise wie eine Rohfassung.

Laura und Catalina sind Pepe Carvalho ein Rätsel, Lisa Nerz ist es auch sich selbst. Ist sie nicht doch ein Mann? In "Der Masochist" (1997), ihrem ersten Romanauftritt, hat sie sich noch für eine bisexuelle Frau gehalten. Wenn sie jetzt dagegen in "Harte Schule", drei Bücher später, in Anzug und Krawatte ihre Wirkung auf Frauen genießt, kommt sie sich nicht mehr lesbisch vor. Sexualität irritiert auch die anderen Figuren mächtig. Oberstaatsanwalt Richard Weber war früher eine Frau, und für den Lehrer Jürgen Marquardt sind seine Schüler eine ständige Versuchung. Auf dem "Minenfeld" der Lust seinen Platz zu finden bleibt lebenslang schwierig - Lisa Nerz erkennt in der Wohnung des umgebrachten Marquardt ihre eigene Heimatlosigkeit wieder. Für Pepe Carvalho ist das Ganze viel harmloser: Er schläft gerne mit Frauen und hat ebenso gerne seine Ruhe.

Christine Lehmann, geboren 1958, seit 1990 Redakteurin beim Südwestrundfunk (SWR), lässt ihre Lisa-Nerz-Romane in Stuttgart spielen. "Harte Schule" dreht sich um Wirtschaftskriminalität, Päderasten, die Ämter zu verlieren haben, und mordende Polizisten; aber auch um Marko, Steffi, Jöran, Birte, Fickfehler, Zampano und Persephone, alles Pubertanden, die sich und anderen das sind, was man in diesem Alter sein muss: eine rechte Last. Sie schlingern zwischen Armuts- und Wohlstandsverwahrlosung, aber die Wachstumsschmerzen, die größenwahnsinnige Pickligkeit, blieben ihnen auch mit besseren Eltern oder in weniger hilflosen Schulen nicht erspart. Wer nicht täglich mit Heranwachsenden zu tun hat, kann den Roman als Einleitung in die Jugendsprache bestaunen ("das ist Marko, der ist fett die Evolutionsbremse.").

Überhaupt ist Christine Lehmann den meisten deutschen Krimischreibern stilistisch haushoch überlegen. Der Ton macht so sehr die Musik, dass man ums Zitieren nicht herumkommt. Lisa Nerz als Ich-Erzählerin kultiviert einen Psychomaterialismus und legt empfindsam-aggressiv versteckte Interessen und Regungen bloß ("Auf ihrem Gesicht glänzten Reste ranghöherer Gespräche."). Platte und elaborierte Sprachniveaus kollidieren komisch ("Ich stand auf und langte ihm nebenbei an den Sack. Er wich behände aus."). Lehmann riskiert beleidigte Leserinnen ("Es war die Schönheit des Muttertiers, das für Mann und Kind das Haus bestellte, ohne von der inneren Unruhe des Strebens nach geldwerter Selbstverwirklichung berührt zu sein."). Weil Lisa Nerz als Redakteurin beim Stuttgarter Anzeiger arbeitet, wird journalistisch deformierten Lesern einiges Sondervergnügen zuteil ("Ich ging ins Feuilleton und ließ mir vom alten Wesel einen Schluck aus seiner Flasche Wodka Gorbatschow geben."). Man kann sich diesen Sound nicht antrainieren. Bei Lehmann beruht er auf Menschenkenntnis, Lebenserfahrung, Selbstironie und Belesenheit. Teilweise kann man das aus dem Text beweisen, teilweise spürt man es.

Christine Lehmann hat in den 80er Jahren vor allem Essays veröffentlicht, 1991 dann "Das Modell Clarissa", eine literaturwissenschaftliche Dissertation über tote verführte Frauen. Seit 1994 folgten neun Romane, im Oktober kommt der zehnte. Das zeugt von Energie und schmückt den SWR: Der scheint einen tätigen Menschen nicht restlos auszulasten. Schön, dass es solche Jobs noch gibt.


Manuel Vazquez Montalban: "Laura und Catalina". Zwei Liebesgeschichten des Pepe Carvalho. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2005, 115 Seiten, gebunden, 13,90 Euro

Christine Lehmann: "Harte Schule". Ariadne Krimi, Argument Verlag, Hamburg 2005, 255 Seiten, Taschenbuch, 9,90 Euro