Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

April 2024

Männerschlagerkitschnudelei

19.04.2024. Die FAZ ist ganz zufrieden mit der Kunstbiennale in Venedig. Die taz erzählt, wie die Biennale zum Wohle des "Globalen Südens" westliche Sanktionen gegen Russland unterläuft. Im Blick auf Ryūsuke Hamaguchis Film "Evil Does Not Exist" fragt sich die Filmkritik, ob es eine ökologische Filmästhetik gibt. Der Schriftsteller Christof Weigold erzählt im Filmdienst, warum er keine Drehbücher mehr schreibt.

Es braucht des Erbarmens

18.04.2024. Erste ernüchterte Eindrücke von der Biennale in Venedig, die vor allem Kunst aus dem Globalen Süden zeigt: Was ist das denn nun, fragt die Welt und die Zeit stellt fest: Auch queere oder indigene Künstler können sehr altbacken sein. Immerhin der deutsche Pavillon ist überwältigend, meint die SZ, die von Ersan Mondtag lernt: Türkische Gastarbeiter und DDR-Bürger teilen ein Schicksal. Die Filmkritiker erfahren mit Alex Garland und Kirsten Dunst, wie man das Leid in einem amerikanischen Bürgerkrieg betrachtet. Und in der Zeit ekelt sich Feridun Zaimoglu vor zeitgenössischem Theater.

Es ist ungeheuerlich

17.04.2024. Auf der Biennale in Venedig bleibt der israelische Pavillon geschlossen. Ruth Patir, die dort ausstellen wollte, fordert die Freilassung der Geiseln und einen Waffenstillstand in Gaza. Boykott lehnt sie dennoch ab. Die Jungle World freut sich über ein satirisches Filmtableau, das die iranische Glaubensbürokratie aufs Korn nimmt. In Berlin wird DDR-Architektur abgerissen, die einst zur Hebung der Lebensfreude errichtet wurde, ärgert sich die SZ. Die FAZ freut sich: Am Hamburger Schauspielhaus wird endlich wieder in die Hände gespuckt.

Weil Sie nicht zu lachen wussten

16.04.2024. "Die Geschichte von Salman Rushdie ist die Geschichte unserer Gegenwart", schreibt die SZ anlässlich der Erscheinung seines neuen Buches, in dem er das Attentat auf ihn verarbeitet. Die FAZ freut sich, dass der Autor trotz allem Grauen seinen Humor behalten hat. Der Tagesspiegel begegnet im Buch einem ungewöhnlich privaten Rushdie. Die NZZ besucht das neu sanierte Holocaust-Museum in Amsterdam. Die Nachtkritik tauchte beim Istanbuler Theaterfestival in faszinierende Parallelwelten ab. Die FAZ betritt bei einer Retrospektive von Roni Horn in Köln eine Wunderkammer der Fluidität.

Superhelden als Erfolgsgaranten

15.04.2024. Die FAZ bewegt sich mit Eike Weinreichs Inszenierung von Viktor Jerofejews Roman "Der große Gopnik" in Freiburg in den "erogenen Zonen von Kultur und Macht". Die FAZ begegnet im Frankfurter Städel-Museum Käthe Kollwitz' "Schwarzer Anna" und ihrer Sense. Berlinale-Moderatorin Hadnet Tesfai und das ZDF wehren sich dagegen, als Sündenböcke für den Berlinale-Eklat herzuhalten: Die "Aufarbeitung" dieses Falls ist wirklich ein unwürdiges Schauspiel, seufzt der Tagesspiegel. In Backstageclassical warnt der New Yorker Intendant Peter Gelb: Die amerikanische Opernkrise wird auch nach Europa kommen.

Sehen und Séance

13.04.2024. Die FAZ bewundert in Seoul die Fresken des Künstlers Anri Sala, die Techniken der Renaissance, des albanischen Handwerks und analoger Fotografie in den Dienst der Auferstehung stellen. Zeit online rieselt mit Katharina Kollmanns Album "Haus" deutsch-deutsche Identitätspolitik fein durch die Finger. Die SZ mokiert sich über den riesigen neuen und "klimafreundlichen" King Salman Airport. Die NYT sieht den Modedesigner Roberto Cavalli mit Zigarre im Mundwinkel in seinem schillernd violetten Helikopter gen Himmel schweben. Die FAZ ruft leise Servus zum enfant terrible des Designs, dem wunderbaren Gaetano Pesco.

Kunst zur krisengeschüttelten Welt

12.04.2024. Zeit, der deutsch-jüdischen Kunstvermittlerin Galka Scheyer endlich den Platz in der Kunstgeschichte freizuräumen, der ihr zusteht, finden taz und monopol. Das Filmprogramm in Cannes wird von SZ und Tagesspiegel als ausgewogene Mischung zwischen Klassikern und Debütanten gelobt, die Welt hingegen hätte sich auch deutsche Beiträge gewünscht. Die taz denkt mit dem Architekten Steffen Adam über die Möglichkeiten des sozialen Wohnungsbaus nach. In VAN befürchtet der estnische Komponist Jüri Reinvere, dass Estland zum Freiwild für russische Aggressionen wird.

Toleranz anno 1791

11.04.2024. Die Filmkritiker schweben im cinephilen Himmel, wenn Alice Rohrwacher in "La Chimera" von einer Gruppe toskanischer Grabräuber in den Achtzigern erzählt. Das Literaturhaus Leipzig hat eine Lesung von Matthias Jüglers "Maifliegenzeit" abgesagt, weil der keine Belege zu vorgetäuschten Säuglingstoden in der DDR bringen wollte. Jügler ist kein Archivar, schimpft  die FAZ. Ausgerechnet jetzt ist Schluss mit dem deutsch-israelischen ID-Festival im Radialsystem, weil die Förderung des Bundes ausläuft, ärgert sich der Tagesspiegel. In der Zeit hat die israelische Künstlerin Yael Bartana Sorge Israels Regierung zu kritisieren, weil sie sonst "von Deutschen antisemitisch genannt werde".

I Want More

10.04.2024. Die Filmkritik hat wenig Freude an Woody Allens neuestem Streich - die FAZ würde "Ein Glücksfall" am liebsten ins Museum verbannen. Die taz verteidigt die Antilopen-Gang und die ratlose Traurigkeit ihrer Antisemitismuskritik. Die SZ fragt sich, warum Jenny Erpenbeck im englischsprachigen Ausland gefeiert wird - in Deutschland jedoch nicht. In den Aufnahmen des Modefotografen Paolo Roversi verblühen und verglühen Farben, bewundert die FAZ. Die Welt feiert postmigrantisches Theater jenseits von Verzichtsethik im Berliner Gorki Theater. 

Wer jetzt aus allen Wolken fällt

09.04.2024. Der neue Song der Antilopen-Gang sorgt mit seiner Kritik am linken Antisemitismus für Aufregung: man hört auch nur, was man hören will, seufzt der Tagesspiegel. Die Welt dankt Steven Zaillian auf den Knien für dessen für Netflix entstandene Highsmith-Adaption des "talentierten Mr. Ripley". Die SZ bewundert in der Wiener Albertina Modern die Schönheit von Diversität. Die taz lernt, dass auch Architektur sexistisch sein kann.

Eine neue Nouvelle Vague

08.04.2024. Migrantische Stimmen werden von der französischen Gesellschaft nicht gehört, sagt die Filmemacherin Alice Diop in der NZZ. Der Tagesspiegel fällt bei Hakan Savaş Micans Adaption von "Unser Deutschlandmärchen" fast vom Sitz des Gorki Theaters. Außerdem denkt er über gigantomanische Bauten nach. Die Welt hält den Beschwerden über Klaus Mäkeläs junges Alter entgegen: Dirigenten müssen nicht mehr reifen wie guter Wein.

Lichtspender und Hoffnungsträger

06.04.2024. Der chinesische Schriftsteller Yang Lian wirft in der FAZ Kollegen seiner Zunft vor, nur im Ausland die Position des Dissidenten einzunehmen, während man sich Zuhause regimetreu gibt. Außerdem verfolgt die FAZ die irritierende Museumspolitik in Russland. In Albert Ostermeiers Stück "Stahltier" in Berlin sieht die SZ Leni Riefenstahl als Nazi und Narzisstin. Die FAZ ist unbeeindruckt vom "Olympischen Dorf" in Paris. Und die FAS verneigt sich vor der iranischen Sängerin Googoosh.

Eine Welt, die dem Zwang abgerungen ist

05.04.2024. Der Autorenfilm ist sowas von zurück - zumindest in Italien, freut sich der Filmdienst. Die FR hüpft mit Daffy Duck durch die Schirn direkt hinein in die Abgründe von Cosima von Bonin. Joanna Chens Essay über ihre Ankunft in Israel ist vom Magazin Guernica offline genommen worden: "Ich wurde zensiert, weil ich Israeli bin", sagt sie in der Welt. Die NZZ fordert: Killt den Kult um Currentzis! Die FAZ stellt im Deutschen Theater fest: Die Nibelungen gehen auch böse aus, wenn sie feministisch sind.

Mehr Nice als Noise

04.04.2024. Die Filmkritiker staunen darüber, wie zeitgemäß Paola Cortellesi vom von Gewalt geprägten Alltag der italienischen Frauen in der Nachkriegszeit erzählt. Beschämend findet die FAZ, dass mit dem ukrainischen Schriftsteller Serhij Zhadan nun wegen des Desinteresses des Westens ein Friedenspreisträger in den Krieg zieht. Die SZ blickt in London auf Zombies, Körperängste und andere Traumata, die Künstlerinnen in Stoff gefasst haben. Streikaufrufe führen zu Spaltung und Positionierungszwang, stellt Marius Babias, Direktor des Neuen Berliner Kunstvereins, in der Berliner Zeitung klar.

Große, ehrliche Demut

03.04.2024. Die Feuilletons trauern um die afro-karibische Autorin Maryse Condé, die im Alter von 90 Jahren gestorben ist. Wer mehr Drogen kennen möchte als die Apotheke, sollte sich nach Düsseldorf aufmachen zur großen Mike-Kelley-Schau, empfiehlt die FAZ. Ebenfalls die FAZ warnt davor, Architektur von ihrer Geschichte zu reinigen. Auf Medium wird eine Kasseler "Carmen"-Aufführung jenseits exotischer Männerfantasien bejubelt. Campinos Marsch durch die Institutionen ist am logischen Endpunkt angelangt, jubelt die Welt.

Mit Ohren zu greifen

02.04.2024. Der Tagesspiegel schaut besorgt auf die Haltung der Comicszene im Nahostkonflikt, die wieder mal sehr einseitig ist. Die NZZ ist begeistert von David Schalkos und Daniel Kehlmanns "Kafka"-Miniserie. Die FR kann sich nicht satt sehen an den Werken der "Maestras" der Malerei, die eine exquisite Ausstellung in Remagen zeigt. Und Mies van der Rohes New Yorker Seagram-Gebäude gibt es nun als Anzug, schmunzelt die SZ.