9punkt - Die Debattenrundschau - Archiv

Kulturpolitik

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9punkt - Die Debattenrundschau vom 25.04.2024 - Kulturpolitik

Im Tagesspiegel-Interview mit Rüdiger Schaper erklärt der Berliner Kultursenator Joe Chialo, dass er den deutschen Kolonialismus mehr in die deutsche Erinnerungskultur rücken möchte. "'Opferkonkurrenz' ist immer wieder ein Problem, sie bringt uns aber nicht weiter. Erinnerung ist kein Nullsummenspiel. Deutschland muss seine koloniale Vergangenheit aufarbeiten und die Opfer würdigen. Es muss auch die Frage stellen, was damals die Beweggründe waren, in Afrika Kolonien zu erobern... Und nach wie vor beeinflussen die damals aufgezwungenen Strukturen unser Verhältnis zu Afrika und anderen ehemaligen Kolonien sowie unser Denken und unser Handeln." Chialo nimmt außerdem die postkoloniale Bewegung - teilweise - vor dem Vorwurf des Antisemitismus in Schutz: "Es gibt auch bei uns eine starke postkoloniale Bewegung. Wir erleben, dass punktuell postkoloniale Positionen und antisemitische Positionen zusammenfallen. Aber es ist mir wichtig, dass hier nicht ganze Teile der Bevölkerung unter Generalverdacht gestellt werden. Viele Menschen aus dem afrikanischen und arabischen Raum schauen anders auf die israelisch-palästinensische Geschichte und den Nahost-Konflikt als wir das traditionell in Deutschland tun."

Berliner Stadtschloss, die 1.583ste. In seinem Beitrag in der FAZ wünscht sich der Schriftsteller Friedrich Dieckmann, man könnte statt über die politische mal über die städtebauliche Bedeutung der viel kritisierten Kuppel sprechen: "Sie ist evident, sie fällt ins Auge, und so tut es die städtebauliche Bedeutung des wiedergewonnenen Schrägblicks auf die Nordfassade des Baus, deren außerordentliche Schönheit die immer noch laut werdenden Gegenstimmen gegen die Schlüter-Eosander-Erneuerung längst hätte entkräften müssen. So viel Gelungensein, Differenzierung im Kleinen und Maßgerechtheit im Großen, haben wir nicht verdient, scheint der Chorus der Widerstrebenden sagen zu wollen, aber das traut er sich nicht, sondern spricht von verdächtigen politischen Tendenzen, die sich hinter dem Bau verbergen könnten, gerade so, als wäre der Deutsche Bundestag, der ihn in den Volumina des Schlosses und mit seinen barocken Fassaden mit überparteilicher Mehrheit beschlossen hat, eine von rechten Kräften unterwanderte Institution gewesen." Und die "verschrobene" Inschrift? Hätte man gar nicht lesen können, hätte man auf das wenig denkmalsgerechte Restaurant in der Kuppel verzichtet.

9punkt - Die Debattenrundschau vom 23.04.2024 - Kulturpolitik

Wieder einmal lädt die Ruhrtriennale für September einen Künstler ein, der einen besonders aggressiven BDS-Aufruf unterschrieben hat, den belgischen Choreografen Jan Martens. Der Intendant der Ruhrtriennale, Ivo van Hove, versichert zwar, dass Martens den 7. Oktober verurteile und ein Existenzrecht Israels anerkenne. Aber Ruhrbaron Thomas Wessel reicht das nicht: Er fordert, dass sich die Institutionen endlich mit dem BDS-Phänomen inhaltlich auseinandersetzen. "Beispiel Jan Martens: Einerseits erklärt er, die Gründung des Staates Israels habe eine 'Siedlerkolonialherrschaft' begründet, die habe seit Anbeginn 'ethnische Säuberung' betrieben, so dass es unmöglich sei, 'zwischen dem israelischen Staat und seiner militärischen Besatzung' zu unterscheiden, will sagen: Israel und die sogenannten besetzten Gebiete zusammen bildeten 'ein einziges Apartheidsystem'  -  andererseits erklärt Martens jetzt, er erkenne das Existenzrecht dieses 'einzigen Apartheidsystems' an. Einerseits delegitimiert und dämonisiert er Israel, andererseits wendet er sich 'gegen jede Form von Antisemitismus'. Einerseits lässt er glauben machen, 'mögliche Alternativen für unsere zukünftige Welt' entwerfen zu können, andererseits demonstriert er aller Welt, dass er sich  -  Zitat: 'Israel ist die kolonisierende Macht. Palästina ist kolonisiert. Das ist kein Konflikt: das ist Apartheid'  -  allenfalls Kinderreime auf sie macht."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 20.04.2024 - Kulturpolitik

Die (scheidende) Präsidentin des Goethe Instituts, Carola Lentz, 69, äußert sich im Gespräch mit Julia Encke von der FAS doch recht eirig in Fragen der Politik des Hauses beim jüngsten Streit um Antisemitismus im Kulturbetrieb und Ausladungen von Kulturakteuren, die dem Israel-Boykott anhängen. Schon im Januar hatte sie im Spiegel eine Atmosphäre des "Kulturkampfs" beklagt und sich ganz im Sinn des "Weltoffen"-Papiers gegen die IHRA-Definition des Antisemitismus ausgesprochen, die auch israelbezogenen Antisemitismus einschließt. Die Positionierung für die eine Seite bedeutet dummerweise nur immer auch eine gegen die andere. Encke fragt Lentz etwa zur Autorin Ronya Othmann, die in Pakistan nicht auftreten konnte, weil sie von einer BDS-Anhängerin, die ihre Veranstaltung moderieren sollte, als islamophob denunziert worden war (unser Resümee). Auf die Frage, ob man noch einen jüdischen deutschen Schriftsteller nach Pakistan einladen könnte, antwortet Lentz ausweichend: "Die Frage der Sicherheit kann man nicht nur aus Deutschland heraus beantworten. Sie muss vor allem vor Ort geklärt werden. Hier ist die Expertise unserer Mitarbeiter vor Ort essenziell." Und betont, dass man diese Fragen doch nicht so in den Vordergrund stellen sollte: "Wir reden jetzt über einige wenige Fälle, wo massive Probleme auftauchen. Wir reden nicht über die 14.090 anderen, wo ganz fruchtbare und wunderbare Begegnungen zustande kommen."

In der selben FAS ist Othmann ziemlich genervt von dem Wort "provinziell", das immer dann ausgepackt wird, wenn kritisiert werden soll, dass israelkritische bis antisemitische Kulturakteure in Deutschland ab und zu ein bisschen Ärger kriegen. "Als wäre der Gipfel der Weltgewandtheit genau dort zu finden, wo irgendwelche Boykottbriefe unterschrieben, israelische Wissenschaftler und Künstler ausgegrenzt werden (auch wenn sie noch so sehr die rechte Regierung Netanjahus kritisieren), wo undifferenziert mit Begriffen wie 'Apartheidsystem' und 'Genozid' hantiert, wo über den Nahen Osten gesprochen wird, als gäbe es keinen Islamismus, keine Diktaturen und keinen jahrzehntelangen iranischen Terrorexport. ... Sieht man genau hin, spricht aus dem Argument, in anderen Kontexten gelten halt andere Sitten, und aus den Provinzialität-Warnrufen auch ein Kulturrelativismus. Man macht es sich damit sehr leicht. Man wolle die Gesprächskanäle offen halten." Gerade hier erkennt Othmann die Selbstprovinzialisierung: "Das Gegenkonzept dazu wäre der offene Streit."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 17.04.2024 - Kulturpolitik

"Nehmt die Kulturpolitik endlich Ernst!", ruft Björn Hayer in der FR der für uns in die EU-Wahlprogramme der großen Parteien geschaut hat. Bei SPD und CDU findet er kaum etwas zu diesem Thema - die AfD wiederum scheint die Wichtigkeit erkannt zu haben, was Hayer durchaus beunruhigend findet: "Unter dem Deckmantel der Subsidiarität soll beispielsweise die Vorstellung einer europäischen Kulturgemeinschaft zugunsten der Stärkung nationalistischer Identitätspolitik aufgelöst werden." Hayer plädiert dafür, vor allem Kulturinstitutionen in ländlichen Gegenden zu stärken, um die Vielfalt dort zu fördern : "Und wäre nicht erst recht eine solche Kulturpolitik durch und durch europäisch? Eine, die individuelle Koloraturen auf regionaler Ebene fördert, ohne sie in irgendeiner Weise vereinheitlichen zu wollen? Trägt es nicht gerade dem EU-Slogan 'In Vielfalt geeint' Rechnung, eine wohlmeinende Akzeptanz des Anderen zu leben? Routiniert debattieren die Kandidatinnen und Kandidaten bei jeder Wahl zum Europäischen Parlament die Frage, was europäische Identität ausmache. Vielleicht ist aber eben schon die Frage nicht mehr zeitgemäß, weil dieses Gebilde unterschiedlicher Staaten bisher nur gelingt, weil man ihre Heterogenität zulässt und bestenfalls sogar an der Auseinandersetzung mit ihr wächst. Möglich ist dies allerdings nur auf Basis geteilter Werte wie Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit."

Im Interview mit der Berliner Zeitung bekräftigt der Architekt Philipp Oswalt seine Vorwürfe gegen die Humboldtstiftung (unser Resümee). Spender aus dem rechten Milieu hätten Einfluss auf die Gestaltung der Kuppel genommen, so Oswalt. Der ursprüngliche Entwurf des Architekten Frank Stella sei illegitimerweise überarbeitet worden: "Die Stiftung lügt, wenn sie sagt, dass es keinen Einfluss der Spender gegeben hat. Die zusätzlichen Rekonstruktionen waren nicht durch den Grundsatzbeschluss von 2002 abgedeckt, und deshalb auch nicht haushalterisch unterlegt. Das heißt, das musste durch Spenden finanziert werden. Das war allen Beteiligten klar. Die Politik sah sich dann in der Pflicht, Spenderwünschen nachzukommen. Und es ist ja auch eigentlich nicht problematisch, dass bei einem Projekt, bei dem es eine zivilgesellschaftliche Teilhabe gibt, eine Mitgestaltung erwünscht ist. Das wird nur deshalb heikel, weil dabei auch rechtsradikale Positionen eine Rolle gespielt haben."
Stichwörter: EU-Wahlen, AfD, CDU, SPD

9punkt - Die Debattenrundschau vom 15.04.2024 - Kulturpolitik

Andreas Kilb attestiert Claudia Roth, der Staatsministerin für Kultur in der Bundesregierung, "umfassendes kulturpolitisches Versagen". Im Leitartikel der FAZ zählt er die Politikfelder auf, in denen sich dieses Versagen manifestierte. Da ist natürlich der Umgang mit Antisemitismus im Kulturbetrieb. Hinzukommen aber auch sehr konkrete Missstände in der Preußen-Stiftung, in der Erinnerungspolitik oder in der Filmförderung. Roth wird einen "Scherbenhaufen des Unvollendeten" hinterlassen, prognostiziert Kilb, und für einen Wechsel an der Amtsspitze sei es zu spät. Für Kilb liegt Roths Versagen in ihrem Politikverständnis begründet: "Die frühere Parteichefin der Grünen sieht das Amt, das sie vor zweieinhalb Jahren angetreten hat, offenbar nicht als kulturpolitische, sondern als aktivistische Aufgabe an. Sie genießt es, vor Publikum über Kunst und Kultur, Demokratie und Vielfalt zu reden, doch die politische Kärrnerarbeit, die solche Predigten erst plausibel macht, ist ihr fremd. 'Wie eine Löwin' wolle sie für ihre Klientel kämpfen, hat Roth gelegentlich erklärt. Aber Kulturpolitik ist nicht die Serengeti, sondern ein Handwerk."
Stichwörter: Roth, Claudia

9punkt - Die Debattenrundschau vom 12.04.2024 - Kulturpolitik

Beim Thema Restitution von Raubkunst gab es in Deutschland zum einen ein zeitlich bedingtes, "natürliches Vergessen", erklärt die  Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy im Tagesspiegel-Interview mit Nicola Kuhn, zum anderen eine "gewollte Amnesie". Zusammen mit ihrem Kollegen Albert Gouaffo aus Kamerun fand Savoy heraus, dass sich an die 40.000 Kulturgüter in deutschen Museen befinden - die Ergebnisse ihrer Forschung veröffentlichten sie in einem "Atlas der Abwesenheit" (hier frei verfügbar), der letztes Jahr große Wellen schlug (Unser Resümee). Savoy begrüßt, dass die Restitution der Raubgüter und die Aufarbeitung der Kolonialverbrechen mittlerweile in der öffentlichen Debatte angekommen sind ("Noch vor sieben Jahren nannte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz den deutschen Kolonialismus eine Sommerloch-Debatte"). Die oft geäußerte Befürchtung, die deutschen Museen könnten sich leeren, hält sie für Unsinn: "Sollten von den 40.000 kamerunischen Kulturgütern in Deutschland 5000 zurückgehen, blieben 35.000 - immer noch genug. Viele Staaten und communities wollen nur zurück, was ihnen historisch wichtig ist. Ich bin unbesorgt. Das größte Beispiel für eine Restitution war 1815, als Napoleon besiegt wurde. Der Louvre musste alles zurückgeben, was Frankreich in Preußen, Österreich, Italien, Flandern, den Niederlanden sich angeeignet hatte. Den Louvre gibt es immer noch. Als diese Schätze weg waren, kamen andere Sammlungsgebiete: Ägypten, Mesoamerika, Mesopotamien. Museen sind lebende, hungrige Organismen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 11.04.2024 - Kulturpolitik

Der unter anderem vom Historiker Jörg Ganzenmüller und Oliver von Wrochem, dem Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme unterzeichnete Brandbrief zu Claudia Roths Konzept zur Erinnerungskultur (Unsere Resümees) hat es in sich, meint Christian Staas auf Zeit Online, der daraus zitiert: "Der zentrale Stellenwert der Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen für das staatliche Selbstverständnis der Bundesrepublik wird in den inhaltlichen Ausführungen nicht deutlich, vielmehr erscheint die wiederholte Erwähnung der 'Menschheitsverbrechen der Shoah' wie ein pflichtschuldiges Mantra. Das Papier kann als geschichts-revisionistisch im Sinne der Verharmlosung der NS-Verbrechen verstanden werden." Staas findet, das sei doch etwas fatalistisch und empfiehlt Dialog: "Womöglich liegen die Positionen ja am Ende gar nicht so weit auseinander. Denn so wichtig es ist, den wolkigen Ideen aus dem Entwurf des Kulturstaatsministeriums Konturen zu verleihen und die Arbeit der bestehenden Gedenkstätten zu sichern, so destruktiv wäre es, nun in der Debatte gegeneinander auszuspielen, was letztlich zusammengehört. Dass Ganzenmüller und Wrochem in ihrer Kritik nicht aufs Neue die Front Kolonial- versus Holocaustgedenken eröffnen, ist da schon mal ein gutes Zeichen. Und auch sonst enthält ihr Schreiben viel Bedenkenswertes - etwa die Hinweise auf die Gefahren der grassierenden Geschichtsfälschungen in sozialen Netzwerken und auf konservatorische Herausforderungen."

Einen anderen Ton schlägt Joachim Käppner in der SZ an. Zwar findet er die Aufregung um Roths Konzept auch ein wenig übertrieben, nichtsdestotrotz liegt die Kulturstaatsministerin mit ihrem Entwurf komplett daneben: "Im Entwurf Roths erscheint Erinnerungskultur als eine Art staatlicher Belehrungsauftrag, den man zeitgemäß um Antikolonialismus und Migrationsgeschichte zu erweitern habe. Dabei hat sich diese Erinnerungskultur, die heute zu den Pfeilern der deutschen Demokratie gehört, eigendynamisch über die Jahrzehnte entwickelt; oftmals, wie in der Ära Helmut Kohl und seiner reaktionären 'geistig-moralischen Wende', gerade in Opposition zu den Regierenden. Die Politik darf und soll das Gedenken fördern, aber nicht verordnen, und genau das wird hier voll Eifer versucht."

Auch Ayala Goldmann fürchtet in der Jüdischen Allgemeinen eine "weichspülende Geschichtspolitik, die allen gefallen soll": "Die Schoa, der Mord an sechs Millionen Juden, ist kein Verbrechen unter vielen. Wenn ein Entwurf des deutschen Kulturstaatsministeriums daran den geringsten Zweifel lässt, ist er das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben steht."

Lisa Berins stellt sich in der FR hinter Claudia Roth, die auch in der Kritik steht, weil sie bei der Preisverleihung der Berlinale (unser Resümee) geklatscht hatte und beim Thema Antisemitismus laviere: "Man kann Kritik an einer zurückhaltenden Politik Roths üben, auf der anderen Seite ist es eine utopische Vorstellung, dass ein in der Gesellschaft grassierender Antisemitismus durch eine 'durchgreifende' Kulturpolitik einfach so aus der Kulturszene 'herausgehalten' werden könnte. Ein gesamtgesellschaftliches Problem braucht wohl auch eine gesamtgesellschaftliche Lösung. Mit dem Finger auf eine einzelne Politikerin zu zeigen, riecht jedenfalls nicht nur nach parteipolitischer Agitation und womöglich nach Misogynie, sondern ist auch einfach unlogisch."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 10.04.2024 - Kulturpolitik

Mit Martina Šimkovičová hat die ultrarechte Nationalpartei (SNS) eine besonders honorige Person zur neuen slowakischen Kulturministerin ernannt, berichtet Yelizaveta Landenberger in der FAZ. Wegen Hassposts zu Migranten vom slowakischen Privatsender Markíza entlassen, verbreitet sie auf ihrem eigenen Internet-Desinformationssender Verschwörungstheorien und bekannte auf Facebook, sie wolle "der größte Homophob der Slowakei werden". Ihre Umstrukturierungen lassen entsprechend nichts Gutes erahnen: Sie will etwa den öffentlich-rechtlichen Rundfunk RTVS zugunsten einer Art Staatsfernsehen auflösen und Direktoren staatlicher Galerien ohne Angabe von Gründen entlassen können, berichtet Landenberger. "Auch die Vergabe von Fördermitteln (...) möchte Šimkovičová kontrollieren. De facto würde das ein Aus für aus öffentlichen Mitteln finanzierte Kulturzentren bedeuten, die ein für die ultrarechte Ministerin politisch unliebsames Profil aufweisen. Zuvor hob Šimkovičová schon das infolge des Angriffskriegs gegen die Ukraine eingeführte Kooperationsverbot mit russischen und belarussischen Institutionen auf. Šimkovičová selbst bezeichnet ihre Linie als 'Rückkehr zur Normalität'. 'Die LGBT-Organisationen werden nicht länger vom Geld der Kulturabteilung parasitieren', schrieb sie in einem offiziellen Post auf Facebook."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 09.04.2024 - Kulturpolitik

Das Konzept von Kulturstaatsministerin Claudia Roth zur Erinnerungskultur, das Demokratie- und Migrationsgeschichte einbeziehen will, wird auch von sämtlichen Leitern der deutschen Gedenkstätten kritisiert (Unsere Resümees), berichtet in der FAZ Andreas Kilb. Er kann's nachvollziehen: Nationalsozialismus und DDR seien keine Fälle politischer Kriminalität, sondern Staatsverbrechen gewesen. Ein Unterschied "ums Ganze. Er verpflichtet die Nation, auf deren Boden die Taten geschahen, zu fortdauerndem Gedenken. Insofern sie diesen Unterschied einebnen will, ist die Geschichtskonzeption Claudia Roths tatsächlich revisionistisch. Auschwitz gehört nicht zur gleichen Kategorie wie die Mordserie des NSU." Und auch die Einbeziehung des Kolonialismus kritisiert Kilb, weil Roth die deutsche mit der europäischen Kolonialgeschichte vermischt. Damit "begeht sie den zweiten geschichtspolitischen Tabubruch ihres Konzeptpapiers. Denn ein Erinnerungsort, der den Kolonialismus durchgängig europäisierte, würde gerade das Spezifische der kurzen deutschen Kolonialherrschaft verwischen - etwa die Tatsache, dass sie in Ostafrika den arabischen Sklavenhandel beendete oder in Kamerun von der Kollaboration einheimischer Stammesgemeinschaften profitierte, die das Deutsche Reich dem Britischen Empire vorzogen. Der 'Lernort' würde zur Schule des Verlernens."

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Etwas zwiespältig hatte Claudius Seidl kürzlich in der FAZ über die Debatte um neurechte Spender des Berliner Stadtschlosses sowie über Philipp Oswalts Buch über Architektur als Identitätspolitik nachgedacht (Unser Resümee). Dass Seidl mit Blick auf das Schloss von einer "neurechten Bildpolitik" sprach, will der Architektursoziologe Harald Bodenschatz ebenfalls in der FAZ nicht stehen lassen: "Selbst wenn das Schloss in Berlin vollständig von rechten Spendern finanziert worden wäre, wäre es nicht automatisch ein rechtes Schloss. (…) Manche Rekonstruktionen werden von den neuen Rechten begrüßt. Ja und? Soll das denn heißen, dass alles, was die neue Rechte gut findet, auch rechts ist und wir dies den Rechten überlassen sollen? Das Schloss, die Garnisonkirche, die Frankfurter neue Altstadt? Oder auch gleich noch Goethe und Schinkel, die von den Altnazis glühend verehrt wurden? Das ist doch absurd, vor allem aber ist es politisch abwegig, ja eine Kapitulation."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 06.04.2024 - Kulturpolitik

Im taz-Gespräch erklären die ungarischen Schriftsteller Dénes Krusovszky und Ferenc Czinki, wie der Kulturbetrieb in Ungarn zunehmend zentralisiert wird. Krusovszky sagt: "Ein einziger Mann wird künftig für alle Ausgaben des Staates auf literarischem Gebiet verantwortlich sein: Szilárd Demeter. Er war früher der Redenschreiber von Orbán und ist heute der berüchtigte Präsident des Literaturmuseums. Demeter ist absolut regierungstreu." Und auch Libri, der größte ungarische Verlag, wurde vor einem Jahr von der konservativen Stiftung Mathias Corvinus Collegium (MCC) übernommen, wozu Czinki erläutert: "Libri ist nicht nur ein Verlagshaus, sondern auch eine Buchladenkette. Der Staat kontrolliert jetzt also die meisten Buchhandlungen in Ungarn. Ich glaube nicht, dass die Regierung versuchen wird, den Verlagen vorzuschreiben, was sie veröffentlichen sollen und was nicht, aber sie kann kontrollieren, welche Bücher in die Regale und Schaufenster der Buchhandlungen kommen."

Nachdem Claudia Roth Einblicke in ihr "Rahmenkonzept Erinnerungskultur" gewährt hatte, das vorsieht, dass neben dem Holocaust und der DDR-Diktatur künftig auch deutsche Kolonialverbrechen sowie Migration ihren Platz haben sollen (Unser Resümee), "hatten sich Verbände und Arbeitsgemeinschaften der Gedenkstätten zur Erinnerung an das NS-Unrecht und die SED-Diktatur in einem Brief an die Kulturstaatsministerin gegen die Aufnahme der Themen Migrationsgesellschaft und Demokratiegeschichte ausgesprochen", berichtet Lisa Berins in der FR: "Roths Entwurf, so heißt es in dem Brief, leite 'einen geschichtspolitischen Paradigmenwechsel ein, der zu einer fundamentalen Schwächung der Erinnerungskultur führen würde'. Er verabschiede sich von dem Konsens, nationalsozialistische Verbrechen nicht zu relativieren und SED-Unrecht nicht zu bagatellisieren. 'Das Papier kann als geschichtsrevisionistisch im Sinne der Verharmlosung der NS-Verbrechen verstanden werden', folgerten die Unterzeichnenden, darunter etwa die Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in Deutschland." Roth will die Gedenkstätten nun zu einem Runden Tisch einladen.

Für die "10 nach 8"-Kolumne von Zeit Online hat die Autorin Priya Basil das Kigali Genocide Memorial in Ruanda besucht, das an den Völkermord an den Tutsi erinnert. Warum gibt es keine derartigen Gedenkstätten in Deutschland, fragt sie: "Wie seltsam, als deutsche Staatsbürgerin zum ersten Mal in Ruanda auf ein Denkmal für die ermordeten Herero und Nama zu stoßen - dabei lebe ich doch in Berlin, einer Stadt mit mindestens fünfzig Denkmälern für einstige Verbrechen, einer Stadt, die sich das Gedenken an die Gräueltaten des Dritten Reiches, die Schrecken der DDR zur Aufgabe gemacht hat. Ein Ort, der so gut im Erinnern ist, dass er vergisst. Deutschland hat kein offizielles Mahnmal für den Völkermord, den es in Namibia begangen hat. Berlin hat, soweit ich weiß, keine Gedenkstätte für die Opfer des deutschen Kolonialismus vor der Nazizeit. In der gesamten Stadt gibt es nur wenige offizielle Schilder, die auf den deutschen Imperialismus außerhalb Europas hinweisen."