9punkt - Die Debattenrundschau

Das Werk der revolutionären Intelligenzija

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
20.08.2014. Der "Islamische Staat" reagiert offenbar mit Enthauptungen amerikanischer Journalisten auf die Interventionen des Westens - verschiedene Medien berichten. Slate.fr führt in den "Islamismus des Schreckens" ein, der die Gründerväter des Islamismus an Gewalt noch weit übertrifft. In der Welt insistiert der Historiker Leonid Luks, dass es in Russland sehr wohl eine Tradition der Freiheit gibt. Zeit online fragt: Was bringt die "Digitale Agenda" der Bundesregierung?
Efeu - Die Kulturrundschau vom 20.08.2014 finden Sie hier

Politik

Laut Rob Beschizza in Boingboing zirkulierte für kurze Zeit seit gestern Abend hiesiger Zeit ein ISIS-Video, das die Enthauptung des amerikanischen Journalisten James Foley zeigt. "Das Video wurde auf Youtube veröffentlicht und sofort entfernt, allerdings nicht ohne dass es vorher auf Twitter und anderswo propagiert wurde... Das extrem grausame Video zeigt den Journalisten, wie er in der Wüste kniet und ein Statement verliest, bevor er mit einem Messer exekutiert wird."

Auch Spiegel online berichtet in einem Tickerverschnitt: "Am Ende des Videos ist ein weiterer Gefangener zu sehen, den der Henker als den Journalisten Steven Sotloff vorstellt. Es hänge von den zukünftigen Entscheidungen des US-Präsidenten ab, ob auch dieser Amerikaner sterben müsse, heißt es abschließend."

"Am frühen Morgen des 21. August 2013 meldeten erste Posten der Freien Syrischen Armee den Einschlag von Raketen, die wahrscheinlich toxische Kampfstoffe enthielten. Zeugen berichteten von Geschossen, die bei der Detonation wie platzende Wassertanks klangen. Um drei Uhr in der Frühe schlug die erste mit Kampfstoffen konfektionierte Boden-Boden-Rakete ein." So beginnt das Dossier, das das Wadinet zu den syrischen Giftgasattacken auf die eigene Bevölkerung zusammengestellt hat, denen über tausend Menschen zum Opfer fielen. Hier ist es als pdf-Dokument zu lesen.

Georg Seeßlen erkennt in seinem Schlagloch in der taz in Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Joachim Gauck die "Dreifaltigkeit der deutschen Postpolitik". In der FAZ schreibt Patrick Bahners über die Angst der Schwarzen vor der Polizei von Ferguson angesichts Tatsache, dass der junge Michael Brown mit sechs Kugeln erschossen wurde.
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Internet

Heute stellt die Bundesregierung die "Digitale Agenda" vor. Johannes Wendt fürchtet in Zeit Online, dass sich unter dem schönen Versprechen des Breitbandausbaus eine Aufgabe der Netzneutralität verbergen könnte - zum Nutzen der Telekom. Wendt zitiert Volker Tripp vom Verein Digitale Gesellschaft: "Denkbar sei laut Tripp, dass der Deutschen Telekom erlaubt wird, Spezialdienste einzurichten. Nutzer würden dann für spezielle Angebote wie Fernsehen über das Internet gesondert zahlen. Dafür bekommt der zahlungskräftige Nutzer eine gute Leitung von der Telekom, der Standard-Nutzer eine weniger gute."

(Via Readwrite) Nicht richtig zufrieden ist Matthew Keys in The Next Web damit, dass Twitter immer mehr wie Facebook wird. Nun kündigt der Dienst an, auch Tweets in die Timeline aufzunehmen, die zu einem Twitternutzer "passen" und nicht von den Leuten oder Medien stammen, denen er folgt. "Natürlich kann Twitter immer noch seinen Aglorithmus ändern, wenn sich Tweets von Leuten, denen man nicht folgt, als unpopulär erweisen. Dennoch hat Twitter hier eindeutig eine Linie überschritten: Es setzt in Zukunft auf seine Kuratierung der Daten, statt auf unsere eigenen Entscheidungen."

Welche Gesetze gelten eigentlich in Computerspielen? Johannes Boie erzählt in der SZ, dass sich die Spieler von Grand Theft Auto gerade wirklich am Kopf kratzen: Jemand hat sich in das Spiel eingehackt und vergewaltigt fremde Spielfiguren: "Es war die ultimative Demütigung, zumal im übersexualisierten Hiphop-Muskel-Männer-Kontext dieses Spiels. Vor allem aber: diese Handlung existiert in dem Spiel gar nicht, ihre Möglichkeit ist nicht einprogrammiert."
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Religion

Henri Tincq führt in Slate.fr in die verschiedenen Strömungen des salafistischen Islamismus ein, der dem Terror eine neue Dimension gibt: "Die Kämpfer dieses weltweiten Dschihad gehören zu der sogenannten "Generation der Lager": der "Konzentrationslager" in Nassers Ägypten, wo die ersten islamistischen Kämpfer festgehalten wurden, und der Trainingslager in Pakistan, Afghanistan, Algerien. Sie sind - wenn man den Vergleich mit dem Spanienkrieg sucht - die "internationalen Brigaden" des Islams. Gehirnwäsche, militärische Ausbildung, wahabbitische und salafistische Unterweisung: Dieser Islamismus des Schreckens hat mit den ursprünglichen Muslimbrüdern des Hassan el-Bannah in Ägypten und Maududi in Indien und den anderen abgehängten Theoretikern nicht mehr viel zu tun."

Im Aufmacher des FAZ-Feuilletons schreibt Leon de Winter über die Gotteswütigen vom "Islamischen Staat": "Unsere Kultur hat einen Namen dafür: das Böse."
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Geschichte

Es gibt sehr wohl eine freiheitliche Traditionslinie in der russischen Geschichte, auch wenn sie verschüttet ist, meint der in Deutschland lehrende Historiker Leonid Luks in der Welt, sie manifestierte sich nach der Februarrevolution 1917: "Auf den Trümmern der 1917 gestürzten Monarchie wurde die "erste" russische Demokratie errichtet, die im Wesentlichen das Werk der revolutionären Intelligenzija darstellte. Dass dieses wohl freiheitlichste System der russischen Geschichte acht Monate später zerstört werden sollte, hatte weniger mit dem russischen Nationalcharakter, vielmehr mit der Skrupellosigkeit seiner totalitären Feinde zu tun, die alle Freiheiten, welche die Demokratie gewährt, dazu benutzten, um diese zu vernichten."

Ebenfalls in der Welt unterhält sich Igal Avidan mit dem britischen Journalisten Thomas Harding, der ein Buch über seinen Großonkel geschrieben hat, der ein Nazijäger war. Sicherheitshalber stellt Michael Brenner, Professur für jüdische Geschichte, in der NZZ noch einmal klar, dass es einen Unterschied zwischen Israelis und Israeliten gibt.
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Medien

Silke Burmester hat in der taz noch eine Frage zum Rauswurf des Stern-Chefredakteurs Dominik Wichmann und seinem Nachfolger Christian Krug: "Kann es sein, liebe Julia Jäkel, dass Krug, der als wenig zimperlich gilt, geholt wird, Ihre Personalabbaupläne umzusetzen, damit der Stern wie eine gut geschmückte Braut dasteht, wenn es um den möglichen Verkauf von Gruner & Jahr geht?"

Clay Shirky schreibt bei Medium über den Niedergang der Roanoke Times, der Lokalzeitung aus der Stadt in der er aufwuchs - und präsentiert folgende Grafik zur Zeitungskrise:


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Gesellschaft


(Rote Flora, Fassadenschmuck. Das Foto von Montecruz Foto ist unter CC-Lizenz bei Flickr veröffentlicht.)

Zum 25-jährigen Bestehen der Roten Flora würdigt Till Briegleb in der SZ das Hamburger Kulturzentrum als eine Art "linksradikalen Vatikanstaat ohne Papst". Mit der Pointe, "dass der Staat hier ganz offiziell ein Reservat für seine schärfsten Gegner unterhält, weil seine verantwortlichen Vertreter nach einem Vierteljahrhundert müde sind, das Gewaltmonopol durchzusetzen. Anders als die Bewohner der Hamburger Hafenstraße, deren hartnäckiger Aufruhr durch die Legalisierung ihrer Besetzung 1995 grundsätzlich befriedet wurde, weigern sich die Besetzer der Roten Flora bis heute, mit Vertretern von Staat und Politik überhaupt nur zu sprechen. Es gibt keinen Mietvertrag und keine Mietzahlung, Polizisten und Behördenvertreter haben keinen Zutritt, Jugendschutz- und andere Gesetze sind außer Kraft ..."
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