9punkt - Die Debattenrundschau

Andere Formen der Kommunikation

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
23.04.2014. Auch ein Jahr  nach Einführung der Homoehe ist  nicht die Sintflut über Frankreich hereingebrochen, konstatiert die huffpo.fr. Was ist aus unserer Liebe zu Lateinamerika geworden, fragt die Welt. Peter Schneider und Heinrich August Winkler versuchen in Welt und IP die Russland-Versteher zu verstehen. In der FAZ rät Harald Welzer zur Abkehr vom Internet. Und die Briten zerstreiten sich laut SZ über die Frage, ob sie ein christliches Land seien.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 23.04.2014 finden Sie hier

Europa

Peter Schneider spießt in einem Artikel für die Welt am Sonntag (jetzt online) die Moral der "Russland-Versteher" auf: "Mit großem Einfühlungsvermögen erinnerten sie daran, wie viel Land und Einfluss die gute alte Sowjetunion doch bei dem politischen Beben von 1989 verloren hatte. Man erinnerte sich nicht so gut an den Grund dieses Verlustes: Überall im ehemaligen Sowjetreich hatten die Völker ihr Recht auf Selbstbestimmung eingefordert und sich von einem kollabierenden System losgesagt, das nur mit Panzern aufrechterhalten wurde und ihnen keine Zukunft versprach."

Auch der Historiker Heinrich August Winkler bringt wenig Verständnis für die Positionen der beiden sozialdemokratischen Ex-Kanzler und ihrer Bewunderer auf. In der Internationalen Politik schreibt er: "Bei Putins deutschen Apologeten geht das Verständnis, das sie für russische Sicherheitsinteressen aufbringen, mit einem Mangel an Verständnis für die Sicherheitsbedürfnisse der Staaten Ostmittel- und Südosteuropas einher. Die Folge sind neue Zweifel an der Berechenbarkeit Deutschlands, vor allem in Polen und den baltischen Republiken. In Warschau erinnert man sich noch lebhaft an die Zeiten, in denen die großen Nachbarn sich im Zweifelsfall auf polnische Kosten zu verständigen pflegten - von den Teilungen Polens im späten 18. Jahrhundert bis hin zum Hitler-Stalin-Pakt von 1939."

Wladimir Putin findet in allen politischen Lagern verständnisvolle Verteidiger. Aber warum sind auch die rechtspopulistischen und - extremistischen Parteien von Front national bis zu FPÖ, Geert Wilders und Jobbik auf Seiten Putins, fragt das Charlemagne-Blog im Economist: Nun, "viele fühlen sich angezogen von Putins muskulöser Behauptung nationaler Interessen, seiner Betonung christlicher Traditionen, seiner Ablehnung von Homosexualität und der Art, wie er entscheidende ökonomische Sektoren unter Staatskontrolle brachte".

In der FAZ unterhalten sich Europapolitiker Martin Schulz und Claudio Magris über die Idee und Praxis der Europäischen Union.
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Politik

Wehmütig erinnert sich Annette Prosinger in der Welt anlässlich des Todes von Gabriel Garcia Marquez an eine einst weitverbreitete politische Lateinamerikaliebe - die heute leider verflossen ist: "Weil sich zu wenig ändert. Kolumbien ist immer noch das Land der Drogenkartelle, Guatemala hat eine der höchsten Mordraten der Welt, Bolivien ist arm, Argentinien ein Drama, Kuba gehört den Castros. Und Venezuela? Der Tod des Patriarchen brachte keine Besserung: Chavismo ohne Chávez ist noch schlimmer als alles zuvor."

In der Berliner Zeitung beobachtet Frank Nordhausen, wie der türkische Premier Tayyip Erdogan seinen Kurs der hysterischen Polarisierung auch nach der gewonnenen Wahl weiterverfolgt: "Den Moment des Triumphes nutzte er nicht dazu, versöhnend auf die geschlagenen Gegner aus der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen zuzugehen. Nein, er erklärte in seiner Balkonrede wie ein alttestamentarischer Rachegott, sie 'bis in ihre Höhlen verfolgen' zu wollen."

In der taz stößt Sophie Jung mit australischen Veteranen auf den Anzac Day an, zum Gedenken an die Soldaten, die Australien seit 99 Jahren in die Kriege der Welt schickt.

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Überwachung

Auch angesichts des "informationellen Totalitarismus" von Facebook, Google und NSA rät der Nachhaltigkeitstheoretiker Harald Welzer in der FAZ zu Jute statt Plastik: "In der Konsequenz würde das bedeuten, dass sich ein zunehmender Teil der Bevölkerung eben nicht mehr den scheinbar naturwüchsigen Vorgaben des staatlich-industriellen Überwachungskomplexes unterwirft, sondern andere Formen der Kommunikation entwickelt. Was konkret zum Beispiel hieße, für alles das, was man für wichtig hält, künftig weder das Internet noch Telekommunikation zu nutzen - warum sollte das nicht möglich sein?"
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Religion

Charlotte Wiedemann schreibt in der taz mit Blick auf Ägypten, Algerien und Syrien, dass auch der Antiislamismus faschistische Tendenzen aufweisen kann: "Den Terror säkularer Regime zu verharmlosen, das war im Westen vor Beginn der Arabischen Revolten gängige Praxis. Nach dem Sturz von Mubarak schien sich das zu ändern, doch war das, wie man heute sieht, von kurzer Dauer. Der Fall Syrien: Schon gilt Assad, der Schlächter, als kleineres Übel. Und immer noch entzieht es sich jeglicher Vorstellung, dass es düstere taktische Allianzen zwischen einem säkularen Staatsapparat und einem religiös verbrämten Terrorismus geben kann. Obwohl die Entstehung von 'al-Qaida im Maghreb' mit Personal aus dem algerischen Geheimdienst dafür bereits ein Beispiel war."

In der SZ berichtet Alexander Menden von dem Widerspruch, den sich Premier David Cameron mit seinem Aufruf zu einem selbstbewussteren Christentum eingehandelt hat: "Abgesehen davon, dass wir im engeren konstitutionellen Sinne weiterhin eine Staatskirche haben, ist Britannien kein 'christliches Land'", befinden unter anderem Ken Follett, Philip Pullman und Simon Singh im Daily Telegraph.
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Internet

Sascha Lobo erklärt in seiner Kolumne in Spiegel Online, was es mit der heute beginnenden Netmundial-Konferenz auf sich hat, die ein einschneidendes Ereignis in der Geschichte des Internets werden könnte: "Auf diesem Kongress wird eine Art Internet-Uno vorbereitet. Nur nicht staatenbasiert, sondern auf Basis von Interessengruppen, nach einem sogenannten Multi-Stakeholder-Modell. Und deren Grundlagen werden maßgeblich über die Weiterentwicklung der digitalen Welt bestimmen."

Auch Wolfgang Kleinwächter bringt auf der Medienseite der FAZ einen instruktiven Hintergrundartikel zum Thema.
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Medien

turi2 meldet dramatische Einbrüche bei den Zeitschriften, selbst das Auflagenwunder Landlust verliert elf Prozent: "Besonders hart traf es den stern, der im Vergleich zum Vorjahr fast 11 Prozent Auflage einbüßt und nur noch auf 743.000 Verkaufte kommt. Berücksichtigt man nur die harte Auflage, also den Einzelverkauf plus Abos, ist der Rückgang mit 22,3 Prozent auf 414.000 sogar noch schmerzhafter. Der Relaunch vor einem Jahr und die Verkaufsaktion, die den stern für nur einen Euro verschleuderte, sind also verpufft."

Silke Burmester versichert in ihrer taz-Kolumne, dass sie sich auch im neuen Tagesthemen-Studio gern von "Professor Hastig" in den Schlaf murmeln lässt.
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Gesellschaft

Vor einem Jahr wurde in Frankreich die Homoehe eingeführt. Drei Prozent aller Eheschließungen sind seitdem gleichgeschlechtlich. Anders als es die sehr aktiven Gegner der neuen Gesetze an die Wand malten, sei aber noch nicht die Sintflut über Frankreich gekommen, bemerkt die Huffpo.fr in einem Editorial: "Die Begriffe 'Vater' und 'Mutter' wurden nicht aus dem Code civil gstrichen, und die Begriffe 'parent 1' und 'parent 2' wurden dort niemals eingeführt. Die künstliche Befruchtung wird nur heterosexuellen Paaren gewährt. Leihschwangerschaften bleiben auf dem französischen Boden für jedermann verboten."
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